Dienstag, 22. Juli 2014

Erwägungen zum Freitod oder: Wollen wir einen paternalistischen Staat?

König Sauls Tod - ein Freitod

König Saul, eine wahrhaft tragische Gestalt: „Um Saul selbst entstand ein schwerer Kampf. Die Bogenschützen hatten ihn getroffen und er war sehr schwer verwundet. Da sagte Saul zu seinem Waffenträger: Zieh dein Schwert und durchbohre mich damit! Sonst kommen diese Unbeschnittenen durchbohren mich und treiben ihren Mutwillen mit mir. Der Waffenträger wollte es nicht tun: denn er hatte große Angst. Da nahm Saul selbst das Schwert und stürzte sich hinein.“ 1.Samuel, 31-3-4. Tragisch war sein Leben und auch sein Tod. Von Gott selbst zum König über Israel eingesetzt, von Gott dann verworfen, weil er nicht den Bann an feindlichen besiegten Königen vollziehen wollte, von Gott verlassen, Saul befragte ihn, aber er antwortete ihm nicht mehr und nun dieses Ende. Ist das, wie der Freitod des Judas der eines von Gott Verstoßenen? Gott reute es, daß er ihn zum König gesalbt hatte. 1. Samuel, 15, 35.

Die Tat: Der König, schwer verwundet in der Schlacht, er trifft seine Entscheidung: besser tot als lebend den Feinden in die Hände fallen. Er entscheidet hier nicht einfach als Privatperson sondern als Amtsperson. Welche Folgen hätte es, wenn der König lebend den Feinden in die Hände fiele! Von der politischen Erpreßbarkeit bis hin zu Mißhandlungen, in denen in der Person des Königs auch das ganze Volk Israel von seinen Feinden mißhandelt würde. Aus politischer Verantwortung wählt er so den Freitod- aber auch als Privatperson: nicht aus einem Mangel an Liebe zu sich selbst, etwa aus Lebensüberdruß sondern aus Achtung vor sich selbst. Die Mißhandlungsmöglichkeiten durch die Feinde vor Augen: das ist für mich aus Selbstachtung nicht zumutbar , urteilt er.

War es eine freie Entscheidung? Ja, freien Willens konnte er sich entscheiden, verletzt den Feinden in die Hände zu fallen oder sich von seinem Waffenträger töten zu lassen. Es ist ein Fall von freiwilliger Selbsttötung. War es aber auch eine Sünde, wenn sich Saul als König verantwortungsethisch durch eine Selbstötung der Gefangennahme entziehen wollte? Widerspricht es der Selbstliebe und der Selbstachtung als Geschöpf Gottes, wenn er, die Mißhandlungsmöglichkeiten vor Augen, einem zu Tode Gefoltertwerden, sich töten will, um sich vor einem solchen Tod zu bewahren? Es gibt für Saul Schlimmeres als den Tod und darum wählt er ihn. Oder ist es nicht doch das Ende eines von Gott Reprobierten? Oder erweist sich hier Gott seinem einstigen Erwählten gegenüber noch einmal als gnädiger Gott, indem er ihm die Chance gewährt, sich durch den Freitod vor dem Fallen in Feindeshände zu retten?


Über das Ideal eines selbstbestimmten Endes

In unserer postchristlichen Gesellschaft reüssiert die Vorstellung der Euthanasie als schöner Tod-verbindet sich hierbei ja das freiheitstheoretische Ideal des selbstbestimmten Lebens mit der Vorstellung eines menschenwürdigen Sterbens, indem der Mensch es vorzieht, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen, statt ein für ihn unerträgliches Leben weiter zu erleiden. Die Schlagworte sind bekannt, hinter denen sich dieser Grundgedanke verbirgt: von der Patientenverfügung über die umstrittene Hilfe zum Suizid als Sterbehilfe bis zur Meinung, daß es der Würde des Menschen entspräche, frei und selbstbestimmt auch sein Leben beenden zu dürfen.

Wo von Freiheit die Rede ist, evoziert dies immer auch die Reaktion, zu betonen, daß der Mensch auch oder gerade in seinen gewichtigsten Entscheidungen nicht frei sich entscheide, sondern mehr oder weniger fremdbestimmt sei durch interne oder externe Faktoren, sodaß von einem Selbstbestimmungsakt nicht die Rede sein könne. Aber dieser aus der Empirie gewonnene Einwand wider den Freitod soll hier unberücksichtigt bleiben, weil in moraltheologischer Perspektive nur der Suizid als Freitod ein Thema dieser Disziplin ist- insofern er nicht freiwillig gewollt oder vollzogen würde, wäre er nicht eine Materie der Moraltheologie. Abzulehnen ist aber die Meinung, daß jeder Suizid kein Freitod sein könne, weil der Freitod immer unfreiwillig erstrebt werden würde. Die Katholische Theologie geht in der Regel davon aus, daß der Mensch für seine guten wie für seine sündigen Taten verantwortlich ist. Freiheit ist ein Postulat der praktischen Vernunft und keine empirisch vorfindliche Tatsache. So Kant. Nähme man das Argument der Beeinflussung erst, daß prinzipiell keine menschliche Entscheidung frei wäre, müßte man ja auch die Demokratie abschaffen, weil die freien Wahlen dann unfrei wären. Auch ist die von der rouseauischen Anthropologie beeinflußte Meinung, daß der Mensch von Natur aus immer nur das Gute wolle und nur durch eine negative Sozialisation zum Negativen neige, so daß er nur „unfreiwillig“ krankhaft das Negative wolle, nicht akzeptabel. Die christliche Moral geht von der Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun und Unterlassen aus und spricht dann von der Vergebbarkeit der Sünde und nicht davon, im Geiste oberflächlicher Sozialmilieutheorien den Menschen von seiner Verantwortlichkeit freizusprechen, als wäre der Mensch als Produkt seiner Sozialverhältnisse nicht eigenverantwortlich für sein Tun. Den Suizienten pauschal die Eigenverantwortlichkeit abzusprechen ist eine durch nichts zu begründende Entmündigung des Täters. Es ist ein Ausdruck des Respekters dem Suizenten gegenüber, ihm seine Tat als seine freie Tat anzuerkennen.


Freitod gleich Sünde?

Ist der Freitod immer eine Sünde und ist dies eine ausschließlich der Theologie vorbehaltene Einsicht oder kann schon jedes vernünftige Denken erkennen, daß der Freitod eine unzulässige vernunftwidrige Handlung ist?

Der jetzt gültige Katholische Katechismus gibt auf die erste Frage eine klare Antwort: ja, der Selbstmord ist immer eine sündige Tat, auch wenn die Umstände der Tat den Täter entlasten können, insofern diese Umstände die Selbstverantwortung für diese Tat schmälern1. Aber überzeugen die theologischen Argumente?

In 2281 heißt es: Der Selbstmord widerspräche der natürlichen Neigung des Menschen,sein Leben zu erhalten. Es sei ein schwerer Verstoß gegen die Eigenliebe und die Nächstenliebe, weil durch den Selbstmord der Mensch sich seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Nächsten entzöge.

Wenn ein Mensch sein Leben beenden will, weil er sich sein Leben, wie er es jetzt führt und erleidet, nicht weiter zumuten will, so drückt sich in dem: Nicht mehr zumuten Wollen seine Eigenliebe aus. Sage ich, ich kündige dieses Arbeitsverhältnis, weil es mir unzumutbar ist, dann urteile ich damit, daß dies Arbeitsverhältnis meinem Selbstwertgefühl nicht entspricht- nicht aus einem Mangel an Selbstwertgefühl sondern ob meiner Selbstwertschätzung kündige ich dann dies Arbeitsverhältnis auf. Auch der Entschluß zum Freitod resultiert aus der Meinung, sich selbst dies Leben nicht mehr zumuten zu wollen- es lohnt sich für mich nicht mehr. Im Zeitgeist der Ökonomisierung des Denkens transformiert sich auch die Frage nach dem Sinn des Lebens zu der: lohnt es sich?, als wäre das Leben ein Geschäft, das man aufgibt, werden nur noch rote Zahlen geschrieben und dies impliziert ein positives Selbstwertgefühl, dem Eigenanspruch auf ein sich lohnendes Leben.

Auch kann gerade der Freitod um der Nächstenliebe gewollt werden, wenn ein Mensch den Eindruck gewonnen hat, seinen Nächsten etwa als schwerer Pflegefall nur noch eine Last und Plage zu sein,sodaß er sie von dieser Last befreien will. Konstruieren wir folgenden Fall: ein Pilot eines Militärflugzeuges, bestückt mit scharfer Munition, stellt einen Defekt am Flugzeug fest:das Flugzeug wird in Bälde abstürzen. Er könnte jetzt per Schleudersitz sein Leben retten, nur daß dann das Militärflugzeug in bewohntes Gebiet abstürzen und so das Leben vieler gefährden würde oder er verzichtet auf diese Rettungsmöglichkeit, sodaß das Flugzeug über unbewohntem Gebiete abstürzt, er dann aber sein Leben verlieren wird. Die Eigenliebe gebietet ihm, sich zu retten, die Nächstenliebe, auf seine Rettung zu verzichten, um das Leben vieler nicht zu gefährden. Es gibt also Fälle, in denen Menschen um der Nächstenliebe willen gegen die Eigenliebe handeln. Der Freitod wäre so gesehen nur dann eine sündige Tat, insofern er gegen die Eigenliebe und die Nächstenliebe verstieße und das gilt nicht für jeden Freitod. Der Mensch kann aus Eigenliebe sich töten, wie er auch um der Nächstenliebe willen wider die Eigenliebe handeln kann, indem er sein Leben aufopfert zugunsten des Lebens von Nächsten.

Als Hauptargument fungiert aber 2280 die These, daß Gott der Herr des uns geschenkten Lebens sei, sodaß der Mensch nicht über es verfügen dürfe. Der Mensch sei nur Verwalter und nicht Eigentümer seines Lebens. Aber der Katechismus sagt auch,. daß Gott dem Menschen das Leben geschenkt habe- was mir geschenkt worden ist, ist mir zum Eigentum geworden. Oder es ist mir nicht geschenkt worden, sondern nur ausgeliehen. Zudem: der Mensch ist als Freiheit zur Selbstbestimmung bestimmt durch Gott. Jeder Selbstbestimmungsakt ist ein Akt des Verfügens über mich: ich entscheide, verfüge über mein Leben, wenn ich heirate oder um des Himmelsreiches willen zölibatär lebe. Selbstredend muß der Mensch dann am Ende seines Lebens vor Gott eine Rechenschaft ablegen über sein Leben, wozu er es wie bestimmt hat. Aber diese Rechenschaftslegung setzt geradezu das Recht auf freie Selbstbestimmung voraus, denn hätte der Mensch kein solches Recht, dürfte er gar keine Selbstbestimmungsakte setzen.

Aber nur dem Unfreien, dem Sklaven ist das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen. Nun gibt es in der christlichen Tradition die Vorstellung, daß der Mensch ein Eigentum Gottes wäre und daß er so nicht über sich selbst bestimmen dürfe. Dann hätte der Mensch den Sozialstatus eines Sklaven Gottes. Ein Sklave darf nicht über sich entscheiden, er darf nur, was sein Eigentümer ihm befiehlt. Aber es darf wohl geurteilt werden, daß die Hl. Schrift und die Tradition nie wirklich den Menschen als Sklaven Gottes begriffen hat. Die gesamte Rede von der christlichen Freiheit wäre dann ja als ein großer Irrtum zu verwerfen.

Soll der Mensch nicht den Status eines Unfreien, eines Sklaven Gottes innehaben., dann muß ihm das Recht auf Selbstbestimmugsakte zugesprochen werden und in jedem Selbstbestimmungsakt verfügt der Mensch über sich selbst. Es müßte also erläutert werden, warum der zur freien Selbstbestimmung von Gott ermächtigte Mensch nicht das Recht habe, sein Leben selbstbestimmt zu beenden. Dies Recht kann ihm aber nicht mit der These abgesprochen werden, daß er überhaupt kein Recht zur freien Selbstbstimmung hätte, denn damit würde Gott seine eigene Schöpfung, den zur Freiheit bestimmten Menschen selbst widerrufen und ihm zum Unfreien machen.

Man könnte somit mit dem Katechismus gegen ihn urteilen: genau dann ist der Freitod eine Sünde, wenn er gegen die Selbstliebe oder die Nächstenliebe verstößt, wenn also dieser Selbsbestimmungsakt gegen Gottes Gebot der Selbst- und Nächstenliebe verstößt, denn Gott hat dem Menschen zur Freiheit bestimmt, damit er sich gemäß Gottes Willen bestimmt und nicht gegen Gottes Willen sündig bestimmt. Offensichtlich verstößt nicht jede Selbsttötung gegen die Selbst- oder die Nächstenliebe.

Die Überschrift von 2280-2283 lautet aber nicht: Freitod sondern: Selbstmord. Eine Tötungshandlung ist nur dann ein Mord, wenn sie aus niederen Beweggründen heimtückisch gesetzt wird. Nehmen wir diese Überschrift ernst, dann zeitigt dies: nicht jede Selbsttötung wäre eine Sünde sondern nur die, die aus niederen Beweggründen erstrebt würde und das sind Beweggründe, die dem Gebot der Selbst- wie der Nächstenliebe widersprechen. Zur Veranschaulichung: wenn ein Soldat, in Kriegsgefangenschaft geraten, um den Verrat von Geheimnissen zu verhindern, sich selbst tötet, dann tötete er sich, um nicht durch einen Verrat das Leben vieler zu gefährden. Hier opferte ein Mensch sein Leben, um das vieler zu retten. Das kann auf keinen Fall aus christlicher Sicht eine Sünde sein, denn auch der Heiland hat sein Leben am Kreuze geopfert,um vielen das Leben zu retten. Der Katholische Katechismus wäre so viel differenzierter als die Vulgärmeinung, daß jede Selbsttötung eine Sünde wäre.


Zur Vertiefung:

Soll eine Handlung auf ihre moralische Qualität hin erörtert werden, muß die Handlung als Sinntotalität konstruiert werden, die ihren Endzweck in sich hat, denn nur so ist sie eine vollständige Handlung, die auf ihren Wert hin beurteilt werden kann, denn das Ziel der Handlung qualifiziert ja seinen Wert und gibt den Einzelmomenten der Handlung ihren Wert in Hinsicht auf ihre Zuordnung auf das Telos der Handlung. Würde ich fragen: ist es moralisch erlaubt, mir eine Wunde beizufügen, so müßte geurteilt werden, daß eine absichtlich herbeigeführte Selbstverletzung ein Vergehen gegen mich selbst wäre. Wenn dies aber eine Operation ist zur Wiederherstellung der Gesundheit, dann wäre eine Körperverletzung erlaubt, wenn nicht anders meine Gesundheit wiederherstellbar wäre. Die Handlung an sich ist die Heilungsoperation und nicht die Verletzung meines Körpers. Nur wenn ich vom Ziel der Operation absehen würde, erschiene jede Operation als unerlaubte Körperverletzung. So muß auch der Freitod nicht als eine Handlung an sich angesehen werden, die ihren Zweck in sich trägt, sondern der Freitod muß begriffen werden als ein Moment einer Gesamthandlung, die ihren Sinn nicht schon im Selbsttöten findet sondern erst in dem Ziel, das durch die Selbsttötung erreicht werden soll.

Kann diese Erwägung eine Hilfe für die jetzigen Kontroversen: Organspende, Sterbehilfe und Erlaubtheit einer Patientenverfügung sein?


Zur Organspende

Damit einem Menschen Organe entnommen werden können, sodaß sie anderen von Nutzen sein können, dafür ist es notwendig, daß diese noch leben. Einem Toten kann man so gesehen keine lebenden Organe mehr entnehmen. Die Definition des Todes des Menschen als Gehirntod soll das damit vor Augen gestellte Problem lösen: der als gehirntod erklärte Mensch gilt als tot, obgleich seine Organe noch leben, aber der Gehirntod einen irreversiblen Sterbeprozeß eingeleitet der, der durch die Entnahme von Organen nur beschleunigt aber nicht selbst verursacht wird. Aber es ist einzuräumen, daß die Todesursache nach der Entnahme von lebenswichtigen Organen diese Operation ist, auch wenn der Tod ohne diese Operation auch-nur später-eingetreten wäre. Wer sich zur Organspende bereit erklärt, akzeptiert somit, daß er durch einen chirugischen Eingriff eher sterben wird als er es würde, fände dieser Eingriff nicht statt. Somit ist dieser Fall ein besonderer Fall des Freitodes: ich bejahe eine Maßnahme, die zu meinem Absterben führt, um so Mitmenschen ihr Leben zu retten. Daß der Tod auch ohne diese Operation sich ereignen würde, ist kein Argument gegen die Subsumierbarkeit dieses Falles unter den Begriff des Freitodes. Denn von jedem Freitod gilt, daß er nur den Tod früher als ohne die Maßnahme herbeiführt.

Darf der Mensch seinen irreversibel eingetretenen Sterbeprozeß durch eine Maßnahme verkürzen,wenn das Handlungsziel das der Errettung des Lebens von Mitmenschen ist? Interessanterweise urteilt der Katechismus in der Frage, muß ein Patient jede seinen Sterbeprozeß verlangsamende Therapie bejahen, auch wenn diese das Sterben nur verlangsamt?, mit einem Nein und widerspricht so dem oberflächlichen Leseeindruck, daß jede Art von Freitod verwerflich wäre.Denn auch hier gilt, daß so durch die Unterlassung eine Maßnahme der Tod früher eintritt, als er eintreten würde, wäre die Maßnahme ergriffen worden. Der Freitod kann sowohl durch ein Tun, wie auch durch ein Unterlassen gewirkt werden, etwa, indem ein lebensnotwendiges Medikament nicht eingenommen oder eine überlebensnotwendige Operation nicht durchgeführt wird.

Wenn aber das Ziel den Wert oder Unwert einer Handlung qualifiziert, dann müßten hier Unterschiede gemacht werden. Wer seinen Sterbeprozeß durch eine Unterlassung früher hervorruft, der bejaht seinen Tod, um vom eigenen Leiden schneller befreit zu werden. Wer seinen Sterbeprozeß durch eine operative Entfernung von lebenswichtigen Organen beschleunigt, bejaht hier seinen Tod, um das Leben andere zu retten.

Aus christlicher Sicht ist der Akt des Sichopferns, um anderen das Leben zu retten, eine heroische Tat der Liebe, die uns Jesus Christus am Kreuze vorgelebt hat: er opferte sein Leben auf, um die Vielen zu retten. Damit ist die Bereitschaft zur Organspende eine wahrhaftige Möglichkeit der Kreuzesnachfolge Christi, weil hier ein Mensch, wie der Heiland, sein Leben dahingibt, um andere zu retten. Anders sieht es aus bei der Frage der Erlaubtheit der Unterlassung von Maßnahmen, die den Sterbeprozeß verlangsamten. Den hier unterläßt ein Mensch Maßnahmen, weil er hofft, durch den so früher eintretenden Tod von seinen eigenen Leiden erlöst zu werden: darf der Tod um der Befreiung von Leiden willen erstrebt werden? Dieses Erstreben des eigenen Todes widerspräche nicht dem Gebot zur Selbstliebe, weil ja der Sterbende ob der eigenen Wertschätzung sich sein Leiden nicht weiter zumuten will: das ist für mich nicht mehr zumutbar!, ist gerade ein Urteil, das die Liebe und Wertschätzung für sich selbst voraussetzt! Aber es widerspricht der Weise, wie Jesus Christus mit seinem Leiden umgegangen ist. Als Allmächtiger hätte er jederzeit sein Leiden, das uns Mel Gibsons Film: „Die Passion“ so eindrücklich vor Augen führt, vorzeitig beenden können, aber er wollte nicht: er trank den Kelch des Leidens bis zum bitteren Ende. Jedes Leiden steht so gesehen unter der Verheißung, die Paulus so formuliert:Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt. Kolosser 1,24.

Nähmen wir diese Verheißung als Christen ernst, dann würden wir wohl nicht den Tod erstreben als Befreiung von unseren Leiden. Dies macht den großen Unterschied von der Einwilligung zur Organspende und einer Patientenverfügung aus, in der auf bestimmte lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird: das eine ist eine soziale Entscheidung, das andere eine rein egoistische: ich will den Tod, um vom Leiden befreit zu werden.


Freitod und Sterbehilfe

Sicher wird diese jetzige Erwägung unter Christen nicht auf viel Zustimmung stoßen, aber doch soll sie hier zur Diskussion dargelegt werden. Es widerspricht nicht dem Gebot der Selbstliebe, wenn ein Mensch sich sein Leiden nicht mehr zumuten will und so den Freitod wählt. Das ist kein christlicher Umgang mit dem Leid, aber einer, der der praktischen Vernunft nicht widerspricht. Wenn ein Leidender ob seines Leidens den Freitod nicht mehr selbst realisieren kann, ist dann eine Beihilfe zum Freitod moralisch verwerflich, wenn der Freitod in der Intention, sich sein Leiden nicht mehr zumuten zu wollen, nicht der Vernunft widerspricht? Wenn der Freitod so moralisch- nicht christlich- legitimierbar ist, wie sollte dann eine Beihilfe zum Freitod unerlaubt sein?

Als Extrempunkt steht dann noch die Frage nach einer moralischen Legitimität der Tötung auf Verlangen aus. Ein Versuch dazu: Wenn es nicht strafbar ist-nach dem positiven Staatsrecht- sich selbst zu töten, so müßte gefragt werden, ob es einem Menschen strafrechtlich gesehen erlaubt ist, genau dann jemanden zur Tötung zu bitten, wenn der den Freitod Wollende diesen Akt selbst nicht durchführen kann, etwa in Folge seines Krankseins. Wenn die Beihilfe zum Freitod erlaubt ist, wenn der Akteur der den Freitod Wollende ist und der Beihelfer nur sekundiert, dann könnte geurteilt werden, daß der den Suizid Wollende, wenn er soviel zum Freitod beiträgt, wie es ihm in seiner Lage objektiv möglich ist und der Beihelfer das ergänzt zur Vollendung des Freitodes, was zur Vollendung nötig ist, dann ein Recht auf eine Tötung auf Verlangen hat, wenn er als einzigen ihm möglichen Beitrag zur Selbsttötung nur noch das Vermögen hat, die Bitte um seine Tötung zu äußern. Hierbei wäre scheinbar der den Auftrag Erfüllende der Täter. Wenn aber das Augenmerk darauf gerichtet wird, daß der den Freitod Wollende all das, was er zur Realisierung des Freitodes kann, vollbringt, dann ist er doch der Hauptakteur und der Vollender der Beihelfer.

Anders verhielte es sich, wenn der zur Sich-Tötung Auffordernde weniger, als ihm objektiv möglich wäre, zur Vollendung des Freitodes täte, sodaß der auf die Auffordeung zum Töten Tötende einen Anteil an der Tötungstat vollbringt, die der den Freitod Wollende selbst hätte realisieren können.

Lieber tot als Sklave- ist eine bekannte Parole in Freiheitskämpfen. Es gibt für Menschen Lebensbedingungen, hier die Vorstellung, als Unfreier leben zu müssen, die das Todsein als Alternative zu einem Sklavendasein als erstrebenswert erscheinen läßt. Das ist eine Entscheidung, die nicht der Vernunft widerspricht. So könnte auch ein Mensch urteilen, daß ihm das Todsein erstrebenswerter ist als ein Weiterleben in seinem Leiden. Er will sich sein Leidensleben nicht mehr zumuten.

Uns Christen wird ein Ja zu dieser Lebensentscheidung fast unmöglich sein, aber wir dürfen unseren Umgang mit dem Leid, der sich an Jesu Christi Kreuzesleiden zu orientieren hat, nicht Nichtchristen zur Pflicht machen. Der bloßen Vernunft ist die Einsicht in die Sühnekraft des Leidens wohl eine nicht erreichbare Erkenntnis. Daß die Welt in und durch Schönheit erlösbar ist, dem mag sie mit Dostojewskij noch zustimmen; aber die Vorstellung der Erlösung durch das Leiden übersteigt wohl die bloße Vernunft. Jesu Christi Motivation, das Kreuzleid auf sich zu nehmen, ist die Liebe zu seinem Vater und seine Liebe zu den Menschen, aber erlöst, „Durch Liebe erlöst“ ist ein berühmter Hedwig Courths- Mahler Film, sind wir nicht durch die Liebe sondern durch das Kreuz, durch Leiden. Für eine postchristliche Gesellschaft heißt dies, daß wir Christen Handlungsoptionen wie etwa die einer Beihilfe zum Freitod als im Rahmen der praktischen Vernunft als legitime anerkennen müssen, auch und gerade wenn sie christlich inakzeptabel sind.

Es sei denn, die praktische Vernunft erbrächte Argument dafür, daß der Freitod eine ethisch nicht legitime Option ist. A. Camus schrieb so in seinem Essay: „Der Mythos von Sisyphos“: „Es gibt nur eine wirklich ernstes Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie2 Die Antwort Camus, daß es nicht legitim sei, die Absurdität der Existenz des Menschen durch den Freitod zu lösen, weil die Absurdität sein soll, unterliegt einem klassischen naturalistischen Fehlschluß, daß aus dem, was ist, die Absurdität der menschlichen Existenz, geschlossen wird, daß das auch sein soll. Auch die These, daß der Mensch als endliche Freiheit keine irreversible Entscheidung treffen dürfe, weil er damit das Vermögen der menschlichen Freiheit überfordere, kann nicht überzeugen, denn dann dürfte auch niemand im Sinne der Katholischen Kirche heiraten, denn eine sakramental geschlosene Ehe ist unauflösbar und somit die Entscheidung für sie eine irreversible. Man muß mit L.Lütkehaus konzidieren, daß kein Vernunftargument begründen kann, warum das menschlichen Leben sein soll und warum es den „Nachteil, geboren zu sein“, P. Celan, nicht durch einen Freitod beenden darf.3 .

Nur in einer christlichen Gesellschaft kann die öffentliche Moral mit der christlichen koinzidieren. In einer postmodernen pluralistischen Gesellschaft kann dagegen etwas spezifisch Christliches wie die Vorstellung vom Wert des Leidens als Sühneleiden nicht ein Bestandteil der öffentlichen Moral sein. Und so müssen wir uns wohl abfinden mit der Vorstellung, daß der Wunsch, sein Leben zu beenden, um sich ein Leidensleben zu ersparen und dafür auch eine Beihilfe zum Freitod in Anspruch zu nehmen in der öffentlichen Moral zusehens auf Zustimmung treffen wird. Das ist keine christliche Moral, aber wir leben auch nicht mehr im christlichen Abendland.


Eine politische Entscheidung

Wo das Hohe Lied der Freiheit und des Rechtes auf Selbstbestimmung erklingt, da ist der Mißbrauch der Freiheit sehr nahe. Der harmlose Witz: klein Fritz, im Spital, ein Bündel Gras in der Hand spricht zu seiner Oma: „Oma, beiß doch ins Gras-dann bekomme ich ein neues Fahrrad. Die Mama hat es versprochen“ ist bekannt. Aber welche bittere Wahrheit wird daraus in unseren Zeiten, in der unter all dem Gerede vom humanen Sterben unüberhörbar der Wille zur Einsparung sich verbirgt: Kostensenkung im Gesundheitswesen. Der so lautstark angepriesene Verzicht auf die so vermaledeite Apparatemedizin, die menschliches Leben über Gebühr hinaus nur verlängere und so auch das Leiden der Patienten, die Idealsierung des Freitodes angesichts eines leidvollen Sterbens, das sind eben auch schöne Verhüllungen für die Aufforderung, doch sozialverträglich kostensparend sein Leben zu beenden. Der Selbstverständlichkeit, mit der heute auf die Prognose einer zu erwartenden geistigen Behinderung hin Kinder bis zum 9. Monat der Schwangerschaft „abgetrieben“ werden, entspricht der Wille, nicht mehr „lebenswertes“ Leben am Ende des Lebens „abzutreiben“. Euphemistisch heißt das dann: ein selbstbestimmtes Ende seinem Leben zu geben, mit und auch ohne den ausdrücklichen Willen des Patienten. Es muß eine politische Entscheidung sein, ob ob der Mißbrauchsmöglichkeiten des Ideales des Freitodes die Möglichkeiten dazu eingeschränkt werden sollen: Darf ein Mensch gegen dessen Willen zum Weiterleben gezwungen werden, und welche Grenzen sind der staatlichen Bevormundung Menschen gegenüber zu ziehen? Das Schreckensbild eines in eine Zwangsjacke eingepferchten Menschen, dem so an der Ausübung seines Freitodes verunmöglicht werden soll, ist bei aller Extremität des gewählten Bildes doch auch eine Mahnung: wie weit darf der Mensch gegen seinen Willen zum Weiterleben gezwungen werden. Muß es nicht auch Grenzen der staatlichen Bevormundung dem Einzelmenschen gegenüber geben!

Dies widerspricht nicht dem Recht, im Namen einer Privatmoral den den Freitod Wollenden davon überzeugen zu wollen, daß er nicht den Freitod wähle, aber es setzt der moralischen Seelsorge eine Grenze, daß einmal der Wille des Patienten zu respektieren ist, wenn er trotz aller Seelsorge den Freitod will und daß der Patient nicht unendlich lange beseelsorgt werden darf, und nie sein Nein zum Weiterleben respektiert und anerkannt wird.

Ein paternalistisch sich verstehender Staat wird auch immer sich um des Wohlergehens des Einzelmenschen gegenüber das Recht vorbehalten, ihn vor dem Mißbrauch seiner eigenen Freiheit zu schützen, indem er etwa bestimmte Genußmittel, ob ihres Gefährdungspoentiales verbietet, Beihilfe zum Freitod oder gar den Freitod selbst unter Strafandrohung stellt. Die christliche Religion kann nicht umhin, einzuräumen, daß sie eine starke Affinität zum paternalistischen Staatsverständnis hat. Das Ideal des guten Hirten als Königsvorstellung, im Neuen Testament auf Jesus Christus übertragen, beinhaltet einerseits das Idealbild des Hirten aber auch die Vorstellung von der sich nicht selbst regieren könnenden Herde. Der Mensch wird entweder schlecht oder gut regiert, aber nicht kann er sich selbst regieren. Darum bedarf er der Obrigkeit, des Staates, der ihn gut regiert, so das Königsideal des Alten Testamentes oder des Messias, der sein Volk regiert. Die traditionelle Sündenlehre bildet dabei den Mutterboden für ein solches Staatsverständnis: der Sünder, der ob seines Geneigtseins zum Bösen durch den Staat vor sich selber geschützt werden muß. Je größer das Gut ist, das der zum Sündigen immer geneigte Mensch zu zerstören droht, desto mehr ist der Staat gefordert. Darum schützt er den mit dem Freitod Liebäugelnden vor dieser Untat durch die Androhung von Strafe und der Diskriminierung des Selbstmörders. Darum schützte der christliche Staat seine Untertanen vor der falschen Religion, weil diese ihn des ewigen Lebens berauben kann, fällt er von der einzig wahren ab. Was immer in einer Gesellschaft als das höchste Gut, das summum bonum angesehen wird, das wird der Staat immer beschützen gegen die Staatsbürger, die gegen dies verstoßen.

Ein liberal-freiheitlich sich verstehender Staat wird dagegen, auch angesichts der vielfältigen Mißbrauchsmöglichkeiten menschlicher Freiheit der Eigenverantwortung des Menschen den Vorrang einräumen. Diese Vorstellung sieht mehr die Gefahr im Machtstaat, der ob der sündigen Neigungen der Regierenden zur Gefahr der Staatsbürger wird. Aus moraltheologischer Sicht ist es schwer, zu urteilen, welchem der beiden Staatsverständnisse der Vorzug zu geben ist, auch wenn die Einsicht in den zum Sündigen neigenden Charakter des Menschen ein paternalistisches Staatsverständnis zu bevorzugen scheint. Es muß politisch entschieden werden und das heißt realistisch eingeschätzt in unseren Zeiten in der Regel, daß gemäß den Interessen der Wirtschaft entschieden wird: Kosteneinsparung durch die Förderung sozialverträglichen Frühablebens.


Ein pessimistischer Ausblick:

Es ist wohl kein irrealer Albtraum, wenn man sich eine Lebensendberatungsstelle, angegliedert bei „Donum vitae“ vorstellt, die Lebensüberdrüssigen nach einer Beratung einen Berechtigungsschein zum Freitod ausstellt, einzulösen in einem Todeshospitz mit aktiver Sterbehilfe. .


Ein vorläufiges Resümee:

Wenn der Freitod nur dann eine Sünde ist, wenn er gegen die Selbst- und Nächstenliebe verstößt, dann ist nicht jeder Freitod eine Sünde. Saul hätte dann nicht gesündigt, weil er verantwortungsethisch fundiert sich für den Freitod entschieden hat und er aus Selbstachtung heraus nicht seinen Feinden in die Hände fallen wollte und sich durch seine Selbsttötung einem Zutodegefoltertwerden entzog. Wenn ein Mensch, um anderen ihr Leben zu retten, sein eigenes aufopfert, kann dies um des Kreuzes Christi willen nicht als Sünde angesehen werden. Die Motive des Freitodes qualifizieren so den Freitod erst moralisch. Anders gesagt: der Tod wird nie als Selbstzweck erstrebt sondern als ein Mittel gewählt, um ein Ziel zu realisieren. Und dieses Ziel qualifiziert erst in moralischer Hinsicht diese Tat. Der Selbstmord ist somit immer eine Sünde, weil hier der Tod aus niederen Beweggründen erstrebt wird, die dem Gebot der Selbstliebe und der Nächstenliebe widersprechen. Angesichts der Möglichkeiten eines Rechtes auf den Freitod und der Freigabe zur Hilfe zum Freitod ist es aber eine politische Entscheidungsfrage, ob um der Abwehr des Mißbrauches willen auch der Gebrauch diskriminiert werden soll. Daß der Versuch des Freitodes nicht mehr strafbar ist, wie auch der Selbstmord nicht mehr und so auch die Beihilfe zum Freitod, demonstriert die Abkehr des jetzigen Rechtsstaates vom Ideal des paternalistischen Staates, während er in der Unterscheidung von legalen und illegalen Drogen und der strafrechtlichen Verfolgung illegaler Drogen ganz paternalistisch ist. Ob der katholischen Sündenlehre wird uns Katholiken ein Votum für einen paternalistisch sich verstehenden Staat im Kontrast zum Zeitgeist, der immer weniger Staat und immer mehr Freiheit zur Selbstentscheidung will, naheliegen, aber nur, wenn dabei übersehen wird, daß auch das staatliche Regieren von der Sünde influenziert wird.

Hier muß wirklich eine politische Entscheidung gewagt werden für oder gegen einen Staatspaternalismus.

Uwe Christian Lay


1Vgl: Katechismus der Katholischen Kirche 1993.
2Camus, A., Der Mythos von Sisyphos, in: Camus, Albert, Das Frühwerk, 1967, S.397.
3Vgl: Lütkehaus, L., Nichts, Abschied vom Sein. Ende der Angst, 1999.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen