Freitag, 1. August 2014



1.Über die Erkennbarkeit von Wahrheit

Ein König träumt des Nachts einen Traum und nach dem Aufwachen erinnert er sich des Geträumten.
Das Geträumte ist ihm klar vor Augen, aber er kann seinen Traum nicht deuten und auslegen. Die Traumbilder, so klar sie auch sind, verweisen auf eine Wirklichkeit, die der sie geträumt Habende nicht zu erfassen vermag. Die Welt der Zeichen des Traumes referieren nicht uneindeutig auf eineWirklichkeit. Dem König steht ein Expertenherr von Traumdeutern zur Verfügung. Sie können von Berufswegen Träume deuten. Zur Traumwelt fügen sie eine oder mehrer Deutungen hinzu mit der Behauptung, daß sie kompetent sind, Träume richtig zu deuten. Wie kann nun aber der König erkennen, ob die oder eine der ihm präsentierten Deutungen des Traumes auch wirklich die wahre ist? In dieser schlichten Frage nach der Wahrheit der Traumdeutung aktualisiert sich eine hochkomplexe Vorstellung der Beziehung von Sprache und Wirklichkeit. Es gibt eine verborgene Realität (eine vergangene, gegenwärtige oder zukünftige, eine wirkliche oder eine nur eine mögliche),die sich in Traumzeichen zur Sprache bringt und zwar so, daß sie dem Empfänger nicht verständlich ist, sondern so, daß es einer Expertenexegese bedarf. Dabei lebt diese Frage von der Präsumption, daß es notwendig ist, genau die Deutung zu erfassen, die der Aussagenintention der Traumzeichen entspricht. Nicht ist der Traum ein Emergenzpunkt der Ermöglichung unendlich vieler Ausdeutungsmöglichkeiten sondern er ist ein Text, der mit dem Anspruch hervortritt, daß es nur eine
legitime Ausdeutung von ihm gibt.

Und damit ist der Punkt der Legitimierung der Frage nach einer Verhältnisbestimmung von Wahrheit
und Wunder erreicht: angesichts der unübersehbaren Pluralität von auf dem unbegrenzten Markt der
Möglichkeiten präsenten Wirklichkeitsdeutungen und Lebenssinnantworten ist es zur faktischen Unmöglichkeit geworden, hier zwischen wahr und unwahr zu selektieren. Es bedürfte eines Wunders, um hier noch das wahre Angebot erkennen zu können. Die postmoderne Antwort ist derVerzicht auf das Kriterium der Wahrheit als Kontingenzbewältigungsformel. Das Setzen auf ein Wunder ist die prämoderne Alternative dazu. Wenden wir uns ihr zu.

Der König ist nicht nur inkompetent, den Inhalt der Traumzeichen zu begreifen, er sieht sich auch als
inkompetent, von Experten ihm präsentierte Ausdeutungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen.
Weil seinem Erkenntnisvermögen die durch den Traum bezeichnete Wirklichkeit nicht zugänglich ist,
kann er auch Deutungen der Traumbilder nicht als wahr oder unwahr beurteilen, denn dazu müßte ihm die vom Traum bezeichnete Realität unabhängig von der ihm offerierten Deutung zugänglich sein, um dann die Adäquatheit der Deutung mit der vom Traum gemeinten Wirklichkeit zu erfassen Statt angesichts dieser erkenntnistheoretischen Problematik mit Pontius Pilatus resigniert zu fragen:„Was ist Wahrheit?“ und wir dürfen da ein postmodern angehauchtes: „Was ist denn schon Wahrheit?“ mithören präsentiert der König ein Modell einer Beziehungsbestimmung von Wunder und Wahrheit. Er dekretiert, daß er niemandem sagen wird, was er geträumt hat und daß jeder, der von sich, oder von dem man sagt, er sei kompetenter Traumdeuter, erst dann seine Traumdeutung ihm mitteilen darf, wenn er vorher dem König sagen kann, was der König geträumt hat. Der König kann nicht eine ihm vorgelegte Deutung seines Traumes verifizieren, er kann aber sehr einfach prüfen, ob sein Traum übereinstimmt mit dem, was der professionelle Traumdeuter ihm als seinen Traum erzählen wird. Kein professioneller Traumdeuter läßt sich auf diese Spielregel zur Verifikation seiner Traumdeutungskompetenz ein.

Welches Verständnis von Wunder und Wahrheit ist bei diesem Procedere der Findung der wahren Deutung des Traumes präsumiert? Der, der etwas Unmögliches vollbringt, nämlich zu erkennen, was
der König geträumt hat, wenn der König niemandem gesagt hat, was er geträumt hat, der ist kompetent, den Traum wahrhaftig zu deuten. Da der Inhalt des Traumes sich dem Erkenntnisver-mögen des Königes entzieht, kann er nur die übernatürliche Kompetenz des Ausdeuters verifizieren und darauf setzen, daß dieser dann auch die wahre Interpretation ihm präsentiert. So wird die übernatürliche Kompetenz, etwas erkennen zu können, was ein Normalmensch nicht erkennen kann, auch zum Kriterium der Glaubwürdigkeit der präsentierten Ausdeutung. Der übernatürlich Begabte wird so zum Glaubwürdigen. Offenkundig werden hier zwei Ordnungen in Beziehung gesetzt, die erst mal völlig anders geartete sind: die Ordnung der Macht, der Potenz in der Distinktion von: natürlich und übernatürlich und die Ordnung der Moral, die der Distinktion von glaubwürdig und von unglaubwürdig. Es bedarf einer spezifisch metaphysischen Weltsicht, damit das Übernatürliche und das Glaubwürdige in einer Gemeinschaft zu einander stehend kommen können: es ist die Welt der Weisheit, in der Gott als das Übernatürliche schlechthin auch die Wahrheit/das Glaubwürdige ist und in der das Endlich/Natürliche als das vom Übernatürlich/Wahren getrennte als das potentiell unwahre zu stehen kommt. Wir denken so im platonisch- christlichen Zweiweltenschemata.

Daniel, der Weisheitsheld sagt dem König, was er geträumt hat und präsentiert ihm die wahre Deutung. Die Geschichte ist bekannt und ist nachlesbar im Buch Daniel.

In dieser Geschichte haben wir narrativ exponiert das Grundprogramm der vorkonziliare Verhältnisbestimmung von Wunder und Wahrheit vor Augen: der sich dem menschlichen Erkenntnisvermögen entziehende Wahrheitsgehalt des offenbarten Katholischen Glaubens und der Rekurs auf die durch übernatürliche Wunder legitimierten Zeugen der Wahrheit: ob ihrer Wundertaten gilt ihre Lehre als wahr verifiziert. Wie dem König das Wunder, daß Daniel ihm seinen nur ihm bekannten Traum sagen konnte, Daniels Traumdeutung als wahre legitimieren soll,so sollen die Wunder Jesu und seiner Nachfolger ihre Lehre als die wahre legitimieren.

2. Texte und Wirklichkeit

Die elementarste Einsicht historisch- kritischen Denkens ist die des Wissens um die Differenz von dem, was als Wirklichkeit gemeint wird, und dem oder den Texten, die diese Wirklichkeit wiederzu-geben vorgeben. Wunder, die des Daniel, wie die Jesu und seiner Nachfolger sind uns nur als literarische Texte gegenwärtig und nicht das Wunder selbst. Die Erzählung eines Wunders ist nicht das Wunder selbst sondern nur eine Erzählung eines Wunders. Wir leben, und das ist eines der Signaturen der Postmodernität nur noch in Textwelten und der Kontakt zur pathetisch: Wirklichkeitgenannten außertextlichen Welt ist verloren gegangen. Die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Texte, die Wunder erzählen, löst so die Verifikationskraft des sich ereignet habenden Wunders für die durch das Wunder legitimiere Wahrheit auf. Das Wunder verliert ob der Notwendigkeit, das einmalige Geschehen zu vertextlichen, damit es für alle folgenden Zeiten zu einem gegenwärtigen Ereignis wird, seine Beweiskraft, weil es textlich aufgehoben nicht mehr die Evidenz der Unmittelbarkeit des Erlebens besitzt.

3.Verweyens Konzept

These: Wenn das Wunder als Wunderbericht die Wahrheit des durch das Wunder Bezeugten nicht mehr legitimieren kann, dann entsteht die Alternative, daß das Bezeugte unabhängig von dem Legitimationswunder als wahr erkennbar sein muß, wenn nicht die Wahrheitsgeltung des Bezeugten sich auf ein pures Behaupten der Wahrheit reduzieren soll. Genau diese reine Behauptungsgestus ist aber sowohl der Quellgrund fundamentalistischer Intoleranz wie einer pluralistischen Beliebigkeitshaltung.

Mit dieser Kernthese ist Verweyens Anliegen der Kritik der traditionellen Apologetik mit seiner Kaprizierung auf das Legitimationswunder wie auch seine Position der Erkennbarkeit der Wahrheitder christlichen Religion erfaßt, wenn ergänzend noch hinzugefügt wird die kritische Prüfung, ob denn die traditionelle Apologetik in ihrer Focusierung auf das Wunder es gelang, die christliche Wahrheit als die Wahrheit zu explizieren, die Wahrheit für den Menschen ist, das meint, eine Wahrheit ist, die für ihn von unbedingter Bedeutung ist. .

3.1.Die Kritik der Wunder im Neuen Testament
Verweyen präsumiert, daß Jesu Leben und seine Taten spontan unreflektiert in vorgegebene zeitbedingte Vorstellungskomplexe eingezeichnet worden sind. Verweyen spricht hier von „dem Einfluß jener, die Jesu Worte und Taten in den Klisches zeitgenössischer Wunderreports weitervermittelt haben.“1 Das ist das narrative oder eventuell auch schon schriftlich fixierte den Evangelienschreibern vorliegende Erzählmaterial. Es gelte nun, sich auf die redaktionelle theologische Arbeit der Evangelien-schreiber zu focusieren, in der die Wunderberichte kritisch theologisch reflektiert werden und gerade erst da die Wundererzählungen theologisch begriffen werden. „Es galt daher, im Prozeß der weiteren Überlieferung der urchristlichen Wundergeschichten die wirkliche Wundermacht Jesu von den sie einengenden und verstellenden Zügen zu befreien, denen sie durch die Vermittlung in allgemein verbreiteten Erzählschemata unterworfen worden war.“2
Der Fundamentaltheologe fragt nicht nach dem historischen Ereignis am zeitlich nächstens stehenden Bericht über das Ereignis sondern er fragt nach dem Ort im Traditionsbildungsprozeß, wo das Begreifen des Tuns Jesu zu erwarten ist. „Wer sagt denn, daß ausgerechnet die frühen Formulierungen des Erstaunens über Jesu Wirkmacht in einer Wundergeschichte sein Wirken am angemessesten wiedergibt?“3

Das Ergebnis dieser exegetisch- fundamentaltheologischen Untersuchung lautet, daß durch die jeweilige redaktionelle Überarbeitung die Bedeutung des Wunders depotenziert wird zugunsten einer Konzentration auf die heilende und befreiende Begegnung von Menschen mit Jesus von Nazareth4. Als Konsens heutiger exegetischer Forschung gelte, daß ein Teil der Wunderberichte auf tatsächliche historische Ereignisse zurückgingen, nämlich: „Exorzismen und Heilungen Jesu“5 die aber so auch von anderen Charismatikern getätigt worden seien, das andere wären reine Gemeindebildungen, die schon eine reflektierte Christologie präsumieren und diese narrativ exponieren und dann gäbe es Sammlungen von Wunderberichten mit eigenen theologischen Intentionen. Das heißt, daß im strengen Sinne Jesus keine Wunder gewirkt habe, denn die getätigten Exorzismen und Heilungen werden als charismatisch bedingte Phänomene bestimmt, sie sind so außergewöhnliche Ereignisse, aber keine Wunder. Die Evangelisten korrigieren so redaktionell einen naiven Wundermannglauben, der selbst nicht in der Vita Jesu begründet ist, zugunsten eines personalen Vertrauensverhältnisses zu Jesus. Diese wunderkritische Theologie ist in den Schriften des Kanons affirmiert worden aber außerhalb des Kanons von unzähligen apokryphen wunder-süchtigen Schriften geradezu überschwemmt worden6. Es gelte nun, zur wunderkritischen Intention der Redaktionsarbeit der Evangelisten sich zurückzuwenden statt der fatalen Tendenz zum naiven Wunderglauben der nachkanonischen Schriften weiter zu folgen.

3.2. Jesu Auferweckung, das Wunder schlechthin7 ?

Es gibt wohl keine andere historisch kritische Exegesenthese, die sich so großer Beliebtheit und allfälliger Zustimmung erfreut wie die, daß die Evangelien, nicht nur die Synoptiker das Leben Jesu im Lichte von Ostern in der österlichen Deutung des Kreuzes Christi schildern und so keinehistorische Vita Jesu darzubringen beabsichtigen, sondern authentische Glaubenszeugnisse sind8.Erst im Osterlicht wurde Jesus seinen Jüngern und anderen wahrhaftig erkennbar und wurdenihre bisherigen Vorstellungen von Jesu korrigiert und erst da bildete sich das wahre Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Sohn Gottes.9
Erkenntnistheoretisch formuliert heißt das: erst in der Osteroffenbarung wird das Leben und Sterben Jesu transparent, so daß geglaubt werden konnte, daß im Menschen Jesus von Nazareth uns Menschen Gott bzw. Gottes Liebe selbst begegnet. Eigentlich ist nur das Osterlicht das Offenbarungsgeschehen, in dem das sonst verborgene Leben Jesu glaubensrelevant erhellt und zu seiner Klarheit überführt wird10. . Verweyens These dagegen lautet: „Es gibt kein neutestamentliches Zeugnis für die Annahme (aber einige dagegen), daß der Osterglaube (d.h.nach meinem Verständnis, der Glaube daß Jesus trotz seiner Hinrichtung in und aus Gott lebt und so das Heil für die ganze Welt verbürgt) erst durch Erscheinungen des Auferstandenen möglich geworden sei (Begründung des Osterglaubens).11

Anders gesagt: erst durch das Wunder der Auferweckung Jesu wird nachträglich durch diese Gottes- tat das Leben Jesu als das wahre Leben durch Gott verifiziert. Nicht ist seinem vorösterlichen Leben selbst ablesbar, daß es das wahre Leben war, es bedurfte eines göttlichen Legitima-tionswunders, das demonstrieren sollte, daß dieser so kläglich am Kreuze Gescheiterterin Gottes Augen der wahre Mensch ist12. Die österliche Auferweckung des toten Jesu rehabilitiert in den Augen seiner verzweifelten Jüngerschar Jesus als den wahren Heiland und ermöglicht es so, daß sie nun wahre Nachfolger Jesu werden. Der These der Nichterkennbarkeit der Wahrheit des Lebens Jesu korrespondiert hier mit der These, daß erst im Lichte des Wunders der Auferweckung Jesu wahres Sein erkennbar wird durch diese Jesu Leben externe Legitimation.

In der leidenschaftlich auf hohem theologischen Niveau geführten Debatte um die theologische Bedeutung der religiösen Vorstellung der Auferweckung Jesu zwischen Kessler13 und Verweyensieht Verweyen gerade in Kesslers theologischer Position den Vertreter der eigentlich vorkonziliarargumentierenden Apologetik, denen das Wunder der Auferweckung das Legitimierungswunder des Wahrheitsanspruches des Lebens und Verkündens Jesu ist, während Verweyen die These vertritt, daß aus dem Leben Jesu selbst seine Wahrhaftigkeit erkennbar war und ist und so nicht eines zusätzlichen Beglaubigungswunders bedarf. Im Leben und Sterben begegnet uns die Wahrheit, die nicht zu ihrer Erkennbarkeit eines dem Leben äußerlichen Legitimierungswundersbedarf. Wenn Jünger Jesu Jesus erst im Osterlicht wahrhaftig erkannt haben, dann hätten sie damit nur etwas erkannt, was sie genau genommen schon vor Ostern hätten erkennen können.Das Osterlicht fügt der Christuserkenntnis nichts hinzu, was nicht schon unabhängig vom Osterlicht dem Leben Jesu ablesbar gewesen wäre. Und so avanciert für Verweyen das Hauptmannbekenntnis unter dem Kreuze (nach dem Markusevangelium) zu dem wahren Bekenntnis zu Jesus, das unabhängig vom Osterlichte sich ereignet habe und das andemonstrieren soll, daß das wahre Bekenntnis zu Jesu nicht einer österlichen Erleuchtung bedarf.(Es bedarf keines großen exegetischen Scharfsinnes, um kritisch anzufragen, ob nicht dieses Christusbekenntnis des heidnischen Hauptmannes eine nachösterliche Gemeindebildung ist, in der dem Hauptmann das erst nachösterliche mögliche Bekenntnis nachträglich in den Mund gelegt worden ist. Aber diese Kritik kann nicht die Aussagenintention des Bekenntnisses des Hauptmannes unter dem Kreuze außer Kraft setzen, daß Jesus unabhängig von Ostern hier wahrhaftig erkennbar und bekennbar war für den Hauptmann.)

3.3. Eine Nebenbemerkung zu Wunder und Theodizee

Die Debatte zwischen Kessler, Pröpper und Verweyen um die Bedeutung des Wunders der Aufer weckung/ Auferstehung Jesu hat sich in kompliziertester Weise konfundiert mit derklassischen Theodizeeproblematik. Das Wunder der Auferweckung fungiert dann als das Exemplum göttlich allmächtigen Wirkens in der Welt zur Aufhebung von Leid mit der Konnotation, daß die Vorstellung eines souveränen Handelns Gottes am toten Jesu den Eindruck evoziert, daß so die Überwindung des Leides durch den allmächtigen Gott in ein weltfernes postmortales Jenseits verlegt wird. Auf die Wunderproblematik bezogen läßt sich die Kontroverse reduzieren auf die klassische Theodizeefrage: Warum beseitigt der zu Wundern fähige Gott nicht alles Leid? Und kann oder will Gott Leid erst rein postmortal eschatologisch aufheben? Somit avanciert der Glaube an den wundertätigen Gott zum Argument wider den Glauben an die Güte Gottes. „Der Vorstellung von Auferweckung als eines nachträglichen Handelns Gottes verbunden mit einer erst post factum erkennbaren Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten steht nach Verweyen der Grundeinwand der Theodizee entgegen: Eine postmortale Aktion Gottes zur Rettung oder gar zur Legitimation der unschuldig zu Tode Gequälten kann deren Leiden nicht rechtfertigen.“14 Kessler repliziert direkt darauf: „“Auch Verweyens Gedankengang wird an den faktischen Leiden nichts ändern, sie nicht rechtfertigen und die Frage nach dem Warum des Leids nicht zufrieden stellend beantworten. Die Theodizeefrage wird auch durch das Leiden Gottes allein nicht gelöst: Was ändert es am Leid des zerfleischten Kindes, wenn man ihm sagt, daß Gott mitleide?“15 Es kann hier nun nicht die gesamte Theodizeeproblematik diskutiert werden und so beschränkt sich der Verfasser hier auf den Verweis auf A. Kreiners Theodizeekonzeption mit der in Hinsicht auf die Wunderproblematik überzeugenden These,daß, wenn der Mensch zur Sittlichkeit bestimmt ist, er in einer Welt leben muß, in der das ethische Handlungssubjekt die Folgen seines Tuns und Unterlassens vorauserkennen können muß, um ethisch relevant verantwortlich handeln zu können. Eine Welt, in die der allmächtige Gott permanent weltimmanente Handlungszusammenhänge durch Wunder unterbrechen würde, wäre keine Welt mehr, in der der Mensch ethisch relevant handeln könnte.16
3.4.Die Erkennbarkeit Jesu unabhängig von der Vorstellung von Legitimationswundern

Die Frage der Erkennbarkeit einer göttlichen Offenbarung, präziser des einen letztgültigen Wortes Gottes stellt Verweyen unter den Bedingungen der Moderne, d.i. des postkantianischen Denkens. Deshalb ist die erkenntnistheoretische Frage transzendentalphilosophisch zu stellen als die nach den Bedingungen der Möglichkeit realer Selbstmitteilung des Unbedingten im Bedingten.17 Zur Vereinfachung des erkenntnistheoretischen Problemes zur Erkenntnis von Wahrheit. Das Urteil: „Du bist ein wahrer Freund“ setzt voraus, damit es ein wahres Urteil ist, a)eine mit Du angeredete Person, b) das Wissen des präskriptiven Begriffes von: wahrer Freund und c) das Urteilsvermögen, den präskriptiven Begriff und die empirische Person so in Beziehung setzen zu können, daß das Empirische als eine Realisation des präskriptiven Begriffes begriffen werden kann18. Ein empirisches sinnlich Wahrgenommenes als göttliche Offenbarung zu erkennen präsumiert so einen spekulativen Begriff von göttlicher Offenbarung, der es überhaupt erst erlaubt, etwas als Offenbarung zu begreifen. Verweyen expliziert jetzt in zwei verschiedenen Hinsichten den Versuch, den Begriff einer letztverbindlichen Selbstoffenbarung Gottes spekulativ zu entfalten a) theologisch und b)subjektivitätstheoretisch, um damit ein begriffliches Instrumentarium sich zu erarbeiten, um das Leben und Sterben Jesu dann als die Realisierung dieses Begriffes zu begreifen. Angeregt durch Fichtes spätphilosophischen Reflexionen über das Verhältnis des Absolute und Des Denkens „außerhalb“ des Absoluten19 und der Bildtheorie Anselm von Canterburys sagt Verweyen, daß Gott als das Absolute das Bild von sich außerhalb von sich setzt, damit es sich dazu Bestimmt, nichts anderes zu sein als das Bild des Absoluten. So und nur so sei zugleich Gott als das Absolute und das „außerhalb“ Gottes als etwas zu begreifen, das die Absolutheit Gottes nicht tangiert20.
Bei Anselm ist die Denkfigur des Bildes eingeführt, um den Logos als das Bild Gottes zu begreifen, so
daß die Einheit von Gott und Logos in der Differenz von Vater und Sohn begriffen werden kann.Die Bildtheorie soll spekulativ die Einheit in der Differenz zu denken erlauben. Wenn es etwas außerhalb des Absoluten gibt, das nicht die Absolutheit des Absoluten relativiert, dann kann das nur ein zum Bildsein Gottes Bestimmtseiendes sein. Das ist nach Verweyen die gesamte Schöpfung. Das Besondere einer letztgültigen Offenbarung ist dann die Vorstellung, daß ein zum Bildsein Gottes Bestimmter diese Bestimmung so vollkommen erfüllt, daß er ob dieser Bestimmungserfüllung zur Offenbarung der Bestimmung von allem außerhalb des Absoluten wird. Es ist der Begriff einer vollkommenden Selbstbestimmung zum Bildsein Gottes. Freiheit wird so transparent zum Erscheinen des Absoluten in der potentiellen Bildwelt21. Nur da, wo der endlichen Freiheit diese unbedingte Forderung zur Selbstbestimmung zum Bildwerden des Absoluten begegnet, ereignet sich die göttliche Offenbarung, die ob ihrer inhaltlichen Vollendetheit, sie ist nicht ergänzungsfähig und nicht ergänzungsbedürftig das letzte Wort Gottes so ist. Dieser rein spekulativ philosophisch ergründete Begriff einer letztgültigen göttlichen Offenbarung inkludiert nun nach Verweyen in keinster Weise eine Existenzaussage über das Sein des Absoluten oder über das Ergangensein einer SelbstoffenbarungGottes. So wie der Begriff des wahren Freundes oder der des wahren Staates nicht in sich die These der Existenz von Realitäten inkludiert, die diesen Begriffen entsprechen, so wenig inkludiert der Begriff des Bildes des Absoluten schon eine Realisierung des Begriffes.

Der subjektivitätstheoretische Ansatz ist verglichen damit komplizierter und soll in fundamental theologischer Perspektive fundieren, warum die unbedingte Aufforderung zur Selbstbestimmung zum Bildsein Gottes genau das Sollen ist, das die endliche Vernunft als die Erlösung und Erfüllung ihres endlich aporetischen Daseins anerkennen kann und muß als endliche Vernunft22. In diesem Kontext fügt Verweyen den Sinnbegriff ein23.Durch den Sinnbegriff soll die subjektivitätstheoretische Reflexion auf den Spuren Fichtes die Subjektivitätstheorie mit dem theologischen Begriff der Offenbarung in eine sinnvolle Beziehung setzen.

In sehr feinsinnigen diffizilen Durchgängen durch die Entwicklung der fichtischen Subjektivitätstheorie focusiert sich Verweyen auf die Problemkonstellation, daß das sich selbstsetzende Ich sich in Differenz zum Ich als M-ich setzt und das Andere des Ichs als Nicht- Ich.Diese Struktur: Ich- Mich- Nicht-Ich ist nun eine, die dem Streben der Vernunft, des Iches nach Einheit widerstrebt24. Das, was nach Augustin das unruhige Herz ist, das erst in Gott seine Ruhefinden kann, ist nach Verweyen die Selbstbestimmung zum Bildseinwollen des Absoluten. Wenn
alle endliche Vernunft sich zum Bildseinwerden Gottes bestimmt, ist das die Einheit der endlichen Vernunft, in der die menschliche Freiheit ihre Vollendung findet. Diese Abbreviatur der subjektivitätstheoretischen Konzeption Verweyen reicht für das jetzige Anliegen aus, um zu zeigen,daß mit diesem Begriff des Bildes des Absoluten und der subjektivitätstheoretisch fundierten Angewiesenheit endlicher Vernunft auf die Bestimmung zum Bild des Absoluten die Vorstellung eines Legitimierungswunders überflüssig wird. Jesus Christus adäquat erkennen, heißt nun, zuerkennen, daß diese Person genau die freie Selbstbestimmung zum Bildsein Gottes, nur das Bildsein
Gottes sein zu wollen, realisiert hat und so er die Selbstoffenbarung Gottes ist. Diese begriffene Selbstoffenbarung Gottes bedarf keines zusätzlichen Legitimierungswunders, sie legitimiert sich am spekulativen Begriff des Bildes des Absoluten. Wenn so kritisch angefragt die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus nur das bestätigt, was die Vernunft rein spekulativ als die unbedingte Bestimmung endlicher Vernunft schon begriffen hat, und so als der endlichen Vernunft überflüssig erscheinen könnte, dann ist zu respondieren, daß die sich ereignet habende göttliche Offenbarung erst verifizieren soll, daß den rein ideelen Begriffen eine wirkliche Realität zukommt.

Daß dem Leben Jesu die göttliche Selbstoffenbarung ablesbar ist, wenn die Lesehilfe des spekulativen
Begriffes der unbedingten Bestimmung endlicher Freiheit zum Bildsein Gottes appliziert wird ermög-licht nun Verweyen, die Wunder Christi, die nach apologetischer Tradition erst den Wahrheitsgehalt Jesu legitimieren sollen, aufzulösen.

Wenn für Kessler die historisch unbestrittene Tatsache der Existenz eines christlichen Glaubens nach dem Karfreitag, nach dem totalen Scheitern Jesu nur erklärbar ist unter der Prämisse, daß Jesus als Auferweckter neu diesen Glauben evoziert hat und der Gemeindeglauben ohne eine solche direkteIntervention Gottes nicht erklärbar ist25, dann ist für Verweyen eine göttliche Offenbarung nach dem Kreuze Christi für die Existenz des christlichen Gemeindeglaubens überflüssig, weil der Glaubensinhalt sich allein in dem Leben Jesu als dem reinen Bildsein Gottes gründet und keinerösterlichen nachträglichen Offenbarung bedarf. Wenn Jünger erst nach Karfreitag im österlichen
Glauben zur adäquaten Erkenntnis Jesu gekommen sind, dann besage dieses nichts anderes, als daß sie das Leben Jesu erst nachträglich als das begriffen haben, was es war und als was es unabhängig von Ostern auch zu Lebzeiten Jesu schon von ihnen hätte begriffen werden können. Der Osterglaube ist so die nachträglich verzögerte Erkenntnis dessen, was Jesu Leben war. Was der Hauptmann unter
dem Kreuze erkannt hat, das erkannten die Jünger erst später, wobei auch diese späte Erkenntnis auf das selbe Erkenntnismaterial schaut wie der heidnische Hauptmann.

So präsentiert Verweyen in fundamentaltheologischer Hinsicht eine Jesulogie mit der These, daß dem
Leben und Sterben Jesu ablesbar ist, daß in seiner Person sich die unbedingte göttliche Selbstoffen -barung der Bestimmung zum Bildsein des Absoluten ereignet hat, so daß alle die Wahrheit Jesu legitimieren sollenden Wundererzählungen als gut gemeinte aber verfehlte Mittel frühchristlicher Apologetik zu stehen kommen.

4. Kritische Anfragen

Trotz der Beeindruckendheit dieser in sich stimmig wirkenden fundamentaltheologischen Gesamtkonzeption seien kritische Anfragen gestattet:
  1. zum Gottesbegriff des Absoluten und des Bildbegriffes.
  2. Ein Gott, der keine Wunder wirkt?

Zu a)„Wenn nun als Ursprung ein wirklich Unbedingtes angenommen wird, dann stellt sich aber die Frage, wie neben bzw. außerhalb von diesem ` absoluten Sein` etwas sein kann, das, wenn es nicht bloßer Schein ist, die Absolutheit des absoluten Seins in Frage stellt. Diese Aporie findet Verweyen in Fichtes WL 1810 wie folgt ausgedrückt: Gott kann „nicht in sich selbst verändern und bestimmen, und zu einem anderen Seyn machen, denn durch sein Seyn ist alles Seyn und alles mögliche Seyn gegeben, und es kann weder in ihm, noch ausser ihm ein neues Seyn entstehen.“26

Anzufragen ist, welche metaphysisch- theologischen Prämissen zu dem Urteil führen, daß das Absolute bzw. Gott als nicht selbstbestimmungsfähig zu denken ist. Aus freiheitstheoretischer Perspektive evoziert diese These den Verdacht, daß so Gottes Sein als ein vollkommes aber totes Sein zu stehen kommt. Wenn in der traditionellen Theologie von der Natur Gottes gesprochen werden kann, darf der Begriff der göttlichen Natur nicht univok mit dem Begriffe einer kreatürlichen Naturverstanden werden. Wenn im Kreatürlichen gilt, daß das Sein der Natur dem Handeln der Natur vorausgeht, so muß als spezifische Differenz dazu ausgesagt werden, daß die göttliche Natur nicht etwas dem göttlichen Handeln Vorausliegendes ist sondern daß sie im Sinne des Causa sui Gedankens selbst Setzung Gottes ist: der vollkommen unbestimmte Gott bestimmt sich selbst zumGottsein und bestimmt sich darin zu einem bestimmten Sein, das als das Gottsein das Nichtgottsein ausschließt27. Wird dieser Sichselbstsetzungsakt als göttliche Selbstbestimmung freiheotstheoretisch expliziert entsteht durch das Sichselbstbestimmen Gottes Raum für das, was Gott nicht ist, was er nicht erwählt hat zu sein, das Nichtgöttliche, das Nichts, aus und in dem dann Nichgöttliches gesetzt werden kann, das Kreatürliche. Wenn Gott als selbstbestimmungsfähig gedacht wird, kann er ein Anderes als sich setzen und sich auf dieses Andere beziehen. Und das Andere kann dann von Gott dazu bestimmt werden, sich zu bestimmen zu einem auf Gott hin ausgerichteten Sein. Hier würde, statt, daß das Andere sich nichtet, weil es nur das Bildsein Gottes sein soll, damit nur Eines ist, das Absolute in der Einheit mit seinen Bildern , das Andere als Anderes von Gott affirmiert und es würde dazu bestimmt sein, als anders Bleibendes in und aus der Relation zu Gott zu leben. Die Beziehung Gottes zum Kreatürlichen als Liebe ausgedeutet meint ja, Gottes Liebe zum Anderen und nicht daß Gott das Andere negiert, indem er das Andere zum bloßen Abbildsein von ihm bestimmt. Abstrakter formuliert: leidet die fichtische wie die Konzeption Verweyens nicht daran, daß der Gott, als das Absolute gedacht, nur fähig zu einer Selbstbeziehung ist, weil ein jedes Sichrelationieren auf ein Anderes als Gott seine Absolutheit relativieren würde. Ein beziehungsunfähiger Gott kann sich nur auf sich in Bildern von sich beziehen, nicht aber auf ein Anderes.

Der Hintergrund dieser metaphysischen Gottesvorstellung ist eine an Aristoteles orientierte Handlungs-theorie, deren Kernprämisse die These ist, daß der notwendige Grund jeder denkbarenBewegung der eines zu Grunde liegenden Mangels ist, der durch ein Sichverändern in einen Zustand Vollkommener Ruhe überführt wird und nur solange etwas in sich Unvollkommenes hat, es sich auf seine Selbstperfektionierung hin bewegt. Damit schließt Gott als Vollkommenheit gedacht aus, von Gott zu prädizieren, er könne sich bewegen oder verändern. Es ist aber anzufragen, ob dieser hier abbreviaturhaft skizzierte Handlungstheorie Gott gerecht wird. Offenkundig wird der Gottesbegriff als vollkommenes Sein aus dem Wissen um defizitäres Sein gewonnen und so kommt er als durch Endliches bestimmt zu stehen, statt daß das Sein Gottes, wie es sachgemäß wäre, allein als ein Durch-Sich- Selbst- Bestimmtsein zu begreifen. Nur, wenn das Absolute als freiheitstheoretisch gesprochen reine Selbstbestimmungsfähigkeit gedacht wird (das könnte als das Sachgemäße des ehrwürdigen Gedankens Gottes als potentia absoluta verstanden werden), kann Gott begriffen werden als ein zu Anderen als Anderen relationsfähiges Subjekt. So schlägt Neuhaus vor, Gott als sich selbst begrenzend zu denken: Gott „realisiert die eigene Freiheit als Selbstbegrenzung, die der Freiheit des Anderen Raum zur Entfaltung gibt.“28 Und dann ist die endliche Freiheit eben nicht nur dazu da, sich zu nichten, auf jeden Selbststand zu verzichten, um nur noch Bild des Absoluten sein zu wollen. „Wenn der Anschein unaufhebbarer Absurdität des Daseins aufhebbar und auf diesem Wege ein Begriff letztgültigen Sinns gewonnen werden soll, dann darf es außerhalb des absoluten Seins kein weiteres Seiendes geben- etwa die Welt oder das Ich – sondern nur Erscheinungen des absoluten Seins, und diese Erscheinung muß schließlich als vollkommenes Bild des Absoluten hervortreten.“29
Zu b) Gott und Wunder

Die jüngere exegetische Diskussion wurde lange durch Rudolf Bultmanns These bestimmt, der Gedanke des Wunders im Sinn eines konstatierbaren `Mirakels`als `Durchbrechung des gestzmäßigen Zusammenhangs des Naturgeschehens` sei `heute nicht mehr vollziehbar`, weil wir das Naturgeschehen als `gesetzmäßiges Geschehen`verstehen müssen.“ resümiert R. Baumann die aktuelle Debattenlage.30 Berühmt geworden ist ja Bultmanns Votum, daß man nicht elektrisches Licht und Radioapparate benutzen könne und zugleich an die Geister- und Wunderwelt der Bibel glauben könne.31 Anzufragen ist aber, ob die implizite Vorstellung eines Einheitsdenkens, das sowohl den Vorstellungsraume der technischen Vernunft wie auch den Vorstellungsraum der Religion wie ein alles bestimmendes Grundparadigma determiniert als das eine moderne vernünftige Denken nicht eine Einheitsillusion nachkantianischer idealistischer Philosophie ist. Für Kant selber gibt es nicht die eine Vernunft sondern drei selbstständige, nicht aufeinander reduzierbare Vernünfte,die theoretische, die praktische und die aesthetische und man könnte das Anliegen postmodernistischen Denkens als Vertiefung dieser Auflösung eines Einheitsverständnisses von dem vernünftigen Denken verstehen, isb, wenn Lyotards Opus: „Der Widerstreit“ als Zentraltext der Postmoderne angesehen wird.

Eingedenk der These Carl Schmitts, daß die wesentlichen Begriffe der Staatslehre säkularisierte Begriffe der Gotteslehre sind32, soll nun eine Arbeitshypothese aufgestellt werden: Im Übergang vonder Idee der absolutistischen Herrschaft über die konstitutionelle Monarchie zur Idee des liberalenRechtstaates findet ein Prozeß der Domestikation der Staatsgewalt statt, die bei Hobbes als absolutistische gedacht als die notwendige Bedingung zur Aufhebung des universalen Bürgerkriegesselbst nun als Staatsgewalt als Bedrohung der Bürgerfreiheit empfunden wurde und so domestiziert wird zur Idee, daß das Recht herrscht und nicht mehr ein politischer Souverän. Dem Begriff des Rechtsstaates korrespondiert die Vorstellung einer durch Naturgesetze determinierten Natur und wie es keinen über dem Gesetz, der Verfassung stehenden politischen Souverän geben soll, der jederzeit geltendes Gesetz aufheben kann (punktuell oder in Gänze) so soll es auch keinen souveränen Gott mehr geben, der punktuell oder gänzlich die Naturgesetze aufheben kann. Der Gedanke der Gesetzesherrschaft, geboren aus der Erfahrung von absolutistischer Willkürherrschaft läßt auch den Gedanken eines souveränen Gottes, der jederzeit und überall die Naturgesetze außer Kraft setzen könnte, fragwürdig erscheinen. Das Nein zum Wunder ist so nicht primär eine Akkomodation an ein naturwissenschaftlich- technisch orientiertes Weltverständnis sondern ein Phänomen der politischen Theologie! Wird so die Kritik an dem Wunderglauben situiert, fällt es leicht, aus dem theologischen Begriff der Herrschaft Gottes die Einsicht in die Adäquatheit der Vorstellung zu gewinnen, daß Gott als der absolute Souverän den von ihm gesetzten Naturkausalnexus punktuell auflösen kann, um unmittelbar im Kreatürlichen zu wirken. Der Begriff des Wundes als die Vorstellung, daß der absolute Souverän unmittelbar in der Welt wirken kann unter Außerachtlassung der Zweitursachen, wie es Thomas formuliert, ist so eine dem Begriffe Gottes adäquate Vorstellung, wenn Gottes Herrschaft nicht identifiziert wird mit dem modernen Ideal rechtsstaatlicher Herrschaft. Es muß dabei konzidiert werden, daß die religiöse Vorstellung von göttlichen Bundesschlüssen mit dem Volke Israels oder des neuen Bundes mit dem neuen Gottesvolk die Vorstellung einer Rechtsbundesherrschaft präfigurieren könnte, wenn der Bundesgedanke so verabsolutiert wird, daß Gott nicht mehr als über dem Bund stehend gedacht wird.
5. Wahrheit und Wunder

Was ist damit für die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Wunder und Wahrheit gewonnen?
Wenn, um von einem festen Fundament her zu denken mit Platon zu sagen ist, daß die Konstitutiva jeder Religion diese Präsumptionen sind:daß Gott ist, daß Gott sich nicht gleichgültig zu den Menschen verhält, daß Gottes Gunst nicht leicht zu gewinnen ist33, dann ist es evident, daß, damit Menschen gemäß Gott leben können. ihnen von Gott zu offenbaren ist, daß er ist, daß ihm das Leben, der Menschen, wie sie leben, nicht gleichgültig ist und daß, damit Menschen Gottes Offenbaren als sie unbedingt Angehendes erkennen können, er das Offenbarte durch Wunder für die Menschen als die sie unbedingt angehende Wahrheit legitimiert. Es wäre so möglich, aus dem Gedanken der Angewiesenheit des Menschen um das Wissen von dem von ihm von Gott Gesollte her den Begriff eines den Offenbarungsinhalt legitimierenden Verifiktionswunders spekulativ zu konstruieren, der als präskriptiver Begriff es erlaubt zu fragen, ob die in der christlichen Tradition präsenten Wundererzählungen diesen normativen Begriff ent-sprechen. Die Idee des Legitimationswunders wäre so zu verstehen als das Vermögen und Wollen Gottes, sich dem Erkenntnisvermögen endlicher Vernunft so zu akkomodieren, daß der Mensch wirklich sagen kann: ich hätte erkennen können, was Gott von mir fordert. Gerade das Vorhandensein von Wunderberichten in der christlichen Tradition könnte so ein Kriterium dafür sein, daß der Quellgrund der christlichen Religion wahrhaft Gottes Selbstoffenbarung ist.

6.Resümee

Resümierend soll in fundamentaltheologischer Perspektive gefragt werden: sind die Wunderberichte
der Hl. Schrift, isb. die Jesu zugeschriebenen Wunder und die Wunderberichte in der Kirchengeschichte für das vernünftige Denken Anstöße, die den Zugang zur Wahrheit der christlichen
Religion behindern, insofern sie den Eindruck evozieren, daß dem Christentum eine Weltvorstellung eingeschrieben ist, in der Wunder möglich so sind, die als solche dem modernen Menschen nicht zumutbar ist34. Wenn dem so wäre, kann dann diese Weltanschauung aus dem Christentum herausfiltriert werden, um so ein purifiziertes vernunftgemäßes Christentum zu konstruieren?Ist das Resultat der historisch- kritischen Leben Jesu Forschung, daß Jesus von Nazareth Wunder im strengen Sinne des Wortes (außer aus dem Charismatikertum Jesu ableitbare Exorzismen undHeilungen) nicht gewirkt hat, das Ergebnis dieses Willens zur Purifizierung der Vita Jesu von allen unzeitgemäßen voraufklärerischen Vorstellungen? Zu fragen ist mit Verweyen gegen ihn, ob nicht gerade das Wunder als Element einer vernunftgemäßen Gottesoffenbarung begriffen werden könnte.Wenn der Adressat göttlicher Offenbarung endliche Vernunft ist, was soll an der Vorstellung einer Akkomodation an das menschliche Erkenntnisvermögen, daß Wahrheit durch sie legitimierende Zeichenwunder unterstützt wird unvernünftig sein? Verweyen resümiert Kants Wunderkritik in dessen Schrift über die Religion in den Grenzen der praktischen Vernunft selbst so: „Kant verweigert
Zwar den biblischen berichten von Wundern und Weissagungen nicht grundsätzlich jede Anerkennung. Diese bewegt sich aber in dem engen Rahmen seines allgemeinen Zugeständnisses von Offenbarung als einer zu bestimmten Zeiten möglicherweise adäquaten Maßnahme Gottes, um die Erkenntnis des Wesens der Moralität in die Geschichte einzuführen.“35 Einfacher gesagt, Gott akkomodiert sich dem Erkenntnisvermögen von Menschen. Das Urteil Verweyens: „Außerhalb dieses
Rahmens hat die Annahme von Wundern aber keine vernünftige Basis.“36 ist so etwas irritierend. Ist nicht der hier von Kant eingezeichnete Gedanke des Sichakkomodierns, so daß Wunder als Hilfe zum Erkennen des Offenbarungscharakters fungieren, ein der Vernunft einsichtiger und jedem pädagogisch Tätigen selbstverständliche Gedanke?

Wenn Verweyen auf den Raum der historischen Vernunft rekurriert, in dem die göttliche Offenbarung zu diskutieren sei als Frage nach der Möglichkeit, der Erkennbarkeit und des Ergangenseins der absoluten göttlichen Offenbarung, dann ist zu fragen, ob die Vorstellung eines direkten Göttlichen Einwirkens in den Geschichtsraum nicht genauso gut vorstellbar ist, wie ein direktes Eingreifen des politischen Souveräns im Ausnahme-zustand, daß beides mal die gesetzte Ordnung punktuell aufgelöst wird um eines höheren Zieles willen, der Legitimierung einer Offenbarung oder um des Allgemeinwohles willen?37
Anders gefragt: widerspräche es nicht dem vernünftigen Denken, würde von dem Absolute prädiziert, daß es nicht direkt unmittelbar im kreatürlichen Raume agieren könnte? Denn es soll mit Verweyen darauf insistiert werden, daß dem Menschen als endliche Vernunft nur ein Glaube, der in sich vernünftig ist, und in dem die natürliche Vernunft ihre Vollendung findet, ein menschengemäßer Glaube ist und daß es die Aufgabe des fundamentaltheologischen Forschens ist, diese Einheit von endlicher Vernunft und der Vernunft des Glaubens aufzuzeigen. Und so soll am Ende Hegel das Wort gegeben werden:„Gott ist ein lebendiger Gott, der wirksam ist und tätig. Die Religion ist ein Erzeugnis des göttlichen Geistes, nicht Erfindung des Menschen, sondern Werk des göttlichen Wirkens und Hervorbringens in ihm. Der Ausdruck, daß Gott die Welt als Vernunft regiert, wäre vernunftlos, wenn wir nicht annehmen, daß er sich auch auf die Religion beziehe und der göttliche Geist in der Bestimmung und Gestaltung derselben wirke. Zu diesem Geist steht aber die im Denken vollbrachte Ausbildung der Vernunft nicht im Gegensatz.“38


1 Verweyen,H., Gottes letztes Wort 20024 S.321.
2 Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.330f.
3 Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.320.
4 Vgl: Verweyen,H., Gottes letztes Wort 20024 S.322-330.
5 Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.319.
6 Vgl:Hansjürgen Verweyen, Gottes Letztes Wort 20024 S.247-249.
7 „Die leibliche Auferstehung Christi aber habe die Kirche stets als das größte Zeichen gewertet und tue das immer noch. Von Jesus deutlich vorhergesagt, sei sie wegen desLeer aufgefundenen Grabes und der Erscheinungen des Wiedererweckten ein leuchtende Geschichtliches Zeichen geworden.“ Verweyen,H. Gottes letztes Wort 20024 S.338.
8 Vgl: R.Bultmann, Theologie des Neuen Testamentes §7,1 Jesu Gekommensein im Lichte des Osterglaubens.
9 Vgl dazu: „So bemerkt I.Broer: „Die Auferstehung soll, muß und kann- wenigstens nach Meinung vieler Theologen- leisten, was früher die Evangelien insgesamt, insbesondere aber Wunder, Auferstehung und Jungfrauengeburt zusammen leisteten: dem Glauben, einen Grund zu geben.“ zitiert nach Verweyen, H., Gottes letztes Wort 20024 S.339f.
10Wenn Gott erst nach dem Tode Jesu den entscheidenden Offenbarungsakt gesetzt hat, dann wird der Glaube an die Inkarnation des göttlichen Wortes unterhöhlt.“ Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.344.
11 Verweyen, H.,Botschaft eines Toten? 1997 S.88.
12 Verweyen weist daraufhin, daß durch die Kaprizierung auf die Auferweckung Jesu eine
Konfusion zweier unverträglicher Gottesverständnisse entstünde: Gott, wie erstmals vom Kreuze her möglich sei und der alten Gottesvorstellung von Gott als machtvoll Thronenden. Gottes letztes Wort S.342.
13 Vgl:Kessler,H., Sucht den Lebenden nicht bei den Toten 2002, isb. S.442- 463.
14 Platzbecker, P. Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.327.
15 Kessler, H. Sucht den Lebenden nicht bei den Toten 2002 S.444.
16 Vgl: Kreiner, A., Gott im Leid 2005. isb. S.336f: „Ein anderer Punkt betrifft die Frage nach der Möglichkeit eines Eingreifens Gottes, also die traditionelle Wunderproblematik. Die Prämissen des bisherigen Argumentes schließen die Möglichkeit von Wundern nicht aus.“ Aber Wunder können nur in begrenzter Weise als Ausnahmen geschehen sonst ergäbe sich diese für die ethische Bestimmung des Menschen deströse Konsequenz: „dann würde ein häufiges Eingreifen Gottes vernünftige Prognosen und Handlungen unmöglich machen.“
17 Vgl: Karl- Heinz Menke, Die Einzigartigkeit Jesu Christi 1995 S.116- 127.
18 Vgl: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 1 §24, Zusatz 2„Im philosophischen Sinn dagegen heißt Wahrheit, überhaupt abstrakt ausgedrückt, Übereinstimmung eines Inhaltes mit sich selbst.“ Auch das hegelische Denken partizipiert so noch am platonischen Zweiweltendualismus, indem es die Bedingung der Wahrheit von Etwas begreift als Identität von etwas Empirischen mit seinem ideelen Begriff. W. Hoeres sagt stattdessen: „alle Erkenntnis, die diesen Namen wirklich verdient, ist Anschauung, in der nach der berühmten Definition von Edmund Husserl die `Sache selbst` leibhaft und unmittelbar gegenwärtig ist.“ In: Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie 2001 S.9. Aber ein unmittelbares Schauen ohne begriffliches Erfassen des Geschauten wäre überhaupt kein Erkennen, sondern nur begriffsloses Sehen.
19 Fichte: „Soll nun das Wissen dennoch seyn, und nicht Gott selbst seyn, so kann es,da nichts ist denn Gott, doch nur Gott selbst seyn, aber ausser ihm selber; Gottes Seyn ausser seinem Seyn; seine Aeusserung, in der er ganz sey, wie er ist, und doch in ihm auch ganz bleibe, wie er ist. Aber eine solche Aeusserung ist ein Bild oder Schema.“
SW II,696. P. Platzbecker erläutert: „Denn nur das wesenshafte Bild vermag außerhalb des Absoluten wahrhaft zu sein- alles andere ist bloßer Schein, das Sinn nur als notwendige Möglichkeitsbedingung für das freie Sich- Erheben des Daseins zum reinen Bild besitzt.“ P. Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.181.
20 P. Platzbecker faßt den Gedankengang Verweyens so zusammen: Den apriorischen
Bildbegriff entlehnt Verweyen der Trinitätslehre Anselms von Canterbury, der im Kontext
Der Frage, wie der Logos vom Vater verschieden und dennoch ganz mit ihm eins sein könne, ausführt:Verweyen übersetzt: „Denn das Wort ist genau das, was es als Wort oder Bild ist, als Bezug auf ein Anderes (oder einen Anderen), weil es nur Wort oder BildVon irgendetwas (oder: von irgendjemand) ist.“ Anselms Bildbegriff lässt sich entnehmen, wie Einheit und Differenz so zusammenbestehen können, dass weder das eine noch das andere zerstört wird. Das Bild ist etwas außerhalb dessen, was es zu Wort
Bringen soll, und dennoch geht das, was es ist, ganz in dem reinen Ausdruck des Anderen auf.“ Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.53.
21 „Dem Sinnbegriff entsprechend kann- zumindest umrisshaft- von einer èin –für- alle-
Mal ergangenen Offenbarung vernünftig und verantwortbar nur da gesprochen werden,`wo ein Mensch seine ganze Existenz darangibt, Wort und Bild des Unbedingten zu sein`d.h. dort, wo Freiheit als Bild des unbedingten Seins zum Erscheinen kommt.“ P. Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.70.
22 „Dahinter steht als Ergebnis obiger transzendentallogischer Erörterung die entsprechende Einsicht, dass menschliche Freiheit ihre Vollgestalt erreicht, wenn sie Als den einzigadäquaten Gehalt ihrer Realisierung das Bildwerden des Absoluten annimmt.“ P. Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.273.
23 Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.151-185.
24 Fichte drückt dies so aus: „Der höchste Trieb im Menschen ist (…) der Trieb nach Identität, nach vollkommener Uebereinstimmung mit sich selbst; und damit er stets mit
sich übereinstimmen könne, nach Uebereinstimmung all dessen, was ausser ihm ist, mit
seinen nothwendigen Begriffen davon.“ Zitiert nach: Verweyen,H. Gottes letztes Wort
20024 S.171.
25 Vgl: Kessler, H. Sucht Gott nicht bei den Toten 2002 S.208- 219.
26 P.Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.58.
27 Vgl hierzu aber die Fußnotenbemerkung A. Kreiners: „Während relativ klar ist, dass Gott sich nicht selbst erschaffen hat, ist umstritten, ob Gott die Macht hat, seine eigene Natur zu erschaffen. Thomas Morris glaubt, gegen diese Vorstellung sprächen keine logischen und metaphysischen Gründe. Vgl: T.V. Morris: Anselmian Explorations, 172.Keith Ward hat dagegen eingewendet, es mache keinen Sinn anzunehmen, dass Gott
die göttliche Natur vollständig wähle, weil bereits eine göttliche Natur existieren müsse,um eine solche Wahl zu treffen.“ A. Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes 2006 S.258. Das Problem der Anfrage von Ward beruht in dem nicht destinkt geklärten Verständnis des Begriffes der göttlichen Natur. Da die göttliche Natur eine bestimmte ist, nämlich die göttliche in ihrer spezifischen Differenz zur kreatürlichen, muß gefragt werden, wie es zudieser Bestimmung der Natur als göttliche kommt und der Gedanke Gottes als das Absolute erzwingt so den Gedanken, daß jede göttliche Bestimmung nur als Selbstbestimmung zu denken ist: das Absolute ist das Vermögen, sich vollkommen rein selbst bestimmen zu können.
28 Neuhaus, Frömmigkeit der Theologie (QD 202) 2003 S.144.
29 Verweyen,H., Gottes letztes Wort 20024 S.158f.
30 Baumann, R., Wunder in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Hrsgb Eicher, 1985 4.Bd S.323.
31 Vgl:Bultmann, R. Neues Testament und Mythologie, in Kerygma und Mythos Hrsgb: Bartsch Bd 1 1960 S.18.
32 „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.“ Schmitt, C. Politische Theologie 19936 S.43. Schmitts These, souverän ist, wer
über den Ausnahmezustand entscheidet (a.s.O. S.13-21) könnte fruchtbar gemacht werden für den Begriff des göttlichen Wunders, insofern sich der politische Begriff des Ausnahmezustandes deckt mit dem theologischen des Wunders.
33 Vgl: Platon, Nomoi X; 885b.
34 Vgl: Verweyen,H.,Gottes letztes Wort 20024 S.261- 269.
35 Verweyen,H. Gottes letztes Wort 20024 S.266.
36 Verweyen, H.Gottes letztes Wort 20024 S.266.
37 Vgl zum Problem der Vorstellung vom Handeln Gottes: Kessler,H., Sucht Gott nicht bei den Toten 2002 S.283- 311.

38 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religionen I 16.Bd. 1986 (STW) S.40.

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