Dienstag, 30. September 2014

Christliche Politik?

Wie viel Staat wollen wir? Grenzen und Probleme einer christlichen Politik in einer postchristlichen Gesellschaft 

Das Ideal des guten Königs, alttestamentlich ausgedrückt im Bild des Hirten hat sozialgeschichtlich gesprochen zwei grundverschiedene Sitze im Leben: als Herrschaftsideologie, ich euer König bin euer guter Hirte, hört und gehorcht mir, und als Anspruchsideologie des Volkes: König, regiere uns wie ein guter Hirte. Theologisch meldet sich hierbei der Gedanke an, daß Gott allein der wahre gute König ist und damit verbindbar: nur der wahrhaft gottgläubige König kann ein guter Hirte sein. Negativerfahrungen ließen dann aber auch den Gedanken aufkommen, daß nur Gott der wahre Hirte sein kann, sodaß das Volk erst im Reiche Gottes wahrhaft gut regiert wird. Dem steht aber in die theokratische Versuchung gegenüber, in einer Priesterherrschaft schon die Gotterherrschaft realisiert zu sehen.

Jetzt könnten wir meinen, daß das alles Ideen und Vorstellungen vergangener Zeiten wären, die in unserem demokratisch gesonnenen Zeitalter nur noch nostalgischen Wert hätten. Wir sind keine Monarchisten mehr und selbst die theologische Vorstellung von der Königsherrschaft Christi oder die mariologische der Himmelskönigin fristet nur noch ein Schattendasein in der kirchlichen Verkündigung und ist ersetzt durch die Vorstellung des alle Menschen gleichsam liebenden Gottes, der nichts mehr tut, als alle zu lieben wie die Sonne alle, die Guten und die Bösen gleichermaßen bescheint.

Aber doch finden wir subkutan gerade in den aktuellen politischen und moralischen Diskursen das Ideal des guten Königs wieder, aber morphologisch gewandelt als Appell an den Staat, daß er das und dies regulieren solle. Ja, der politische Diskurs hat sich nach der sogenannten Finanzkrise merklich gewandelt. Hieß einst die Parole des Zeitgeistes: Deregulieren, entstaatlichen, entbureaukratisieren und flexibilisieren, so heißt jetzt die Zeitgeistparole: wir wollen mehr Staat. Wofür und wozu der Staat mehr tun soll, darüber sind sich die Zeitgeister uneins, nur das eint sie: der Wille zu einem: Mehr an Staat. Biblisch ausgedrückt: das Bild des Hirten und seiner Herde impliziert immer, daß die Herde sich nicht selbst regieren kann und darum auf einen guten Hirten angewiesen ist. Das ist eigentlich ein mit demokratischen Vorstellungen inkompatibler Gedanke. Er kann sich damit aber verbinden, reduziert sich die Idee der Volksherrschaft, daß das Volk sich selbst regieren kann darauf, daß das Volk den wählt, der es regieren soll. Und er soll es dann gemäß dem Ideal des guten Hirten regieren, so das Anspruchsniveau des Wahlvolkes, das sich so bereit erklärt, sich regieren zu lassen.

Mehr Staat, diese Parole findet ihre lautesten Befürworter in der aktuellen „Bildungsdebatte“. Galt einst die Familie als der Ort der Erziehung und Bildung, ja stellten Gutsituierte gar Hauslehrer ein, um ihre Kinder Daheim zu unterrichten, so gelten nun Frauen, die ihre Kinder selbst erziehen wollen als Rabenmütter! Nur in der Kindertagesstätte und im Kindergarten würden Kinder adäquat erzogen! Und die Ganztagsschule sei überhaupt das beste für Schüler. Und selbstverständlich können Mütter und Väter ihre Kinder nicht richtig „aufklären“-das können nur staatlich geprüfte Erzieher, sodaß auch die „Aufklärung“ alleinige Staatsaufgabe ist. Nur der sehr aufmerksame Beobachter dieser Debatte hört die Untertöne: daß es um die Mobilmachung für den freien Arbeitsmarkt geht und das die „Reserveheer“ der Hausfrauen und Kinderselbsterzieher dafür einberufen werden soll in den Arbeitsdienst der freien Marktwirtschaft.

Mehr Staat, diese Forderung findet aber auch in conservativen Kreisen Zustimmung: die christliche Moral ist in unserer pluralistisch verfaßten Gesellschaft eine unter vielen geworden. Für sie kann und soll die Kirche und der Einzelchrist werben, auch und gerade in dem er sie selbst lebt und vorlebt. Aber: mit welchem Recht kann in einer säkularen Gesellschaft der Christ verlangen, daß seine Moral die ist, der der Staat per Staatsgewalt durchzusetzen hat? Es war und ist immer noch die große Idee der Konstantinischen Epoche, von Kaiser Konstantin bis Kaiser Wilhelm II., daß die Welt durch und mit Hilfe des Staates verchristlicht werden kann; so erst erfassen wir die tiefe Bedeutung der Idee des „Christlichen Abendlandes“. Nur, dies Abendland ist untergegangen. Wir leben nicht mehr in ihm. So sind conservativen Christen viele Morallehren der Kirche zum „eisernen Bestandteil“ einer humanen Kultur geworden: etwa das Verbot des Freitodes, das Nein zu freizügig gelebter und ausgelebter Sexualität, um nur die aktuellen Kontroversthemen zu nennen. Was aber fehlt ist eine klare Unterscheidung: was gehört allein in den Aufgabenbereich der Kirche, wie etwa die Verkündigung der Pflicht der Sonntagsmesse und was an zu lebender Moral gehört in den Aufgabenbereich des Staates in einer postchristlichen Gesellschaft: sicher nicht die Pflicht zum Besuch der Sonntagsmesse. Aber gehört die Androhung von Gewalt, als Androhung staatlicher Bestrafung des Selbstmordversuches und der Beihilfe zum Selbstmord zu den Aufgaben des Staates? Und wie viel „Gesundheitsförderung“? Reichen die obligatorischen Unterrichtsstunden zum Thema: „Wie gefährlich ist das Rauchen!“ in den staatlichen Schulen oder muß auch das Rauchen in Gaststätten, auf Volksfesten oder gleich ganz in der Öffentlichkeit verboten werden?

Der paternalistische Staat versteht sich als die Institution, die besser weiß als jeder Staatsbürger, was für ihn das Gute ist. Will er dann unvernünftig rauchen, und somit seine eigene Gesundheit gefährden, dann muß und will der Staat ihn vor dem Mißbrauch der eigenen Freiheit bewahren, indem er ihm dies und alles seine Gesundheit eventuell Gefährdende verbieten. Man denke hier auch an die Idee der „Grünen“, einen Zwangsvegetarierertag einzuführen. Für die Religion wird es dann gefährlich, wenn der Staat zwischen gesunder und die Gesundheit gefährdender Religion unterscheiden will und so bestimmte Religionen zu unterdrücken beginnt. Wir Christen könnten nun erleichtert aufatmen, solange es nur radikalislamische Gruppen trifft-aber es empöre sich dann Niemand, wenn plötzlich auch „reaktionäre“ Christengemeinschaften Opfer staatlicher Diskriminierung werden! Solange der Staat im Bunde mit der Kirche so die Gesellschaft gestaltete, mochte ein solches staatliches Reglementieren noch gut ausgehen, orientierte sich dies Reglementieren noch an den Geboten Gottes. Was aber, wenn anstelle der göttlichen Gebote die menschlichen Meinungen treten, was denn das Gute für jeden Menschen sei, sodaß jeder Staatsbürger sich daran zu halten habe?

Soll man so, um der individuellen Freiheit willen zu weniger Staat auffordern? Aber damit würden wir dem Wesen des Staates aus christlicher Sicht nicht gerecht werden: denn der Staat ist eine von Gott gewollte und von ihm gesetzte Ordnung! Gott regiert die Welt durch die Kirche und den Staat! Das sagst uns gerade der Apostelfürst Paulus im 13. Kapitel des Römerbriefes! Eigentlich ist das Ideal des Staates der Staat, der vernünftig regiert und der so auch nicht gegen die Kirche regiert, weil die Kirche als Träger der übernatürlichen Wahrheiten, nicht eine antivernünftige Kirche ist, sondern die ist, die sozusagen „vernünftiger“ ist als die Weltvernunft des Staates und so dem vernünftigen Staate nicht widerstreitet.

An aktuellen Einzelfällen kann man dies exemplarisch durchdenken:Wenn es keine strafbare Tat ist,sich selbst zu töten (auch wenn diese Tat aus christlicher Sicht unmoralisch ist), dann kann auch die Beihilfe zum Freitod keine strafbare Tat sein. Wie nun, wenn ein „Mobilitätsbeeinträchtigter“, um es politisch korrekt auszudrücken, sich töten möchte, diesen Willen aber nicht selbstständig realisieren kann-ob seiner Mobilitätsbeeinträchtigung, etwa daß er gelähmt ist-darf er dann eine Hilfe zum Freitod einfordern? Sonst würde ja gelten, daß er als Behinderter (Mobilitätsbeeinträchtigter) an einer erlaubten Tat gehindert wird, weil ihm die dazu notwendige Hilfe verwehrt wird, was eigentlich eine Diskriminierung des Behinderten wäre. Aus christlicher Sicht könnte man nun meinen: wie gut, daß ihn seine Behinderung an der Selbsttötung hindert! Aber wäre das nicht ein Akt der Benachteiligung von Behinderten, wenn man ihnen durch eine Unterlassung einer Beihilfe an einer strafrechtlich gesehen nicht verbotenen Tat daran hindert, zu tun, was sie möchten? Oder soll nun doch der Staat zumindest Mobilitätsbeeinträchtigte daran hindern, ihre Freiheit zu mißbrauchen, wenn der Staat schon generell auf eine Bestrafung des Mißbrauches der Freiheit zum Freitod verzichtet?

All diese Schwierigkeiten ergeben sich uns Christen aus dem Faktum, daß der demokratische Staat kein christlicher mehr ist, daß sein Erlauben und Verbieten mehr ein Produkt des Niederschlages der öffentlichen Moraldiskurse ist, als ein aus der Vernunft abgeleitetes Regieren und daß selbst sich christlich nennende Parteien kaum noch erkennbare christliche Politik betreiben. Spaßhaft könnte man sagen, daß die (Partei)Politik eher das vernünftige Regieren ersetzt. Christsein und das Mitgestalten der Politik im christlichen Sinne ist so gesehen eine sehr schwierige Aufgabe geworden.

Aktuell wird diese Problematik in der nicht nur auf Kath net geführten Debatte, ob man als Christ weiterhin in den C-Parteien die Hoffnung auf eine christliche Politik sieht oder eher in der AfD, die sich zwar nicht als christliche Partei versteht, aber nicht nur in familienpolitischen Fragen christliche Positionen einnimmt. Offenkundig leidet diese Debatte aber gerade an der Unklarheit, was denn unter einer christlichen Politik zu verstehen sei. Mehr Klarheit, mehr Licht in den dunklen Tagen unserer postchristlichen Gesellschaft!                 

1 Kommentar:

  1. Es gibt keinen persönlichen, keinen jenseitigen und keinen Schöpfer-Gott. Die Natur (und das Leben) ist göttlich. Aber es gibt nicht nur die uns bekannte Natur. Sondern es gibt auch eine uns ewig unbekannte Natur.
    Man muss nicht dauernd Mitglied in der Kirche sein. Sondern es genügt, von Zeit zu Zeit Mitglied in der Kirche zu sein (und die meiste Zeit nicht). Unabhängig von der Mitgliedschaft in der Kirche besteht die Möglichkeit, religiöse Kurse (z. B. Geistheiler-Seminare) zu absolvieren.

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