Mittwoch, 14. Oktober 2015

Der Liebesroman und die Bibel

Vor einiger Zeit meinte eine fromme etwas ältere Frau zu mir, daß Frauen das verstehen der Bibel leichter fiele als Männern, weil sie, im lesen von Liebesromanen geschult, in der Bibel den großen Liebesroman Gottes entdeckten, indem sie in der hl. Schrift erstmal die Gattung des Liebesromanes wiedererkannten. 
Wer unbedarft in einen Liebesroman liest, oder eine Verfilmung sich anschaut, etwa die doch rein ästhetisch gesehen sehr gediegenen R.Pilcher Verfilmungen, wird über eines erstaunt sein, daß in dieser Gattung genau das nicht entfaltet wird, was man als unbedarfter Leser erwartet hätte: eine Darstellung zwischenmenschlicher Liebe in ihrer schönsten Gestalt, der zwischen Frau und Mann. Nein, wenn sich die füreinander Bestimmten endlich finden, wenn nun das Glück der Liebe beginnen würde, dann , genau dann endet der Liebesroman und auch so der Liebesfilm. Der Weg des Zueinanderfindens, ein Weg der Komplikationen und Irrungen und Wirrungen wird erzählt, gelungen, oder weniger gelungen- nur, am Ziele, da endet die Kunst. Ein Blick in die Bibel, vom ersten bis zum letzten Buch zeigt uns da eine verblüffende Parallele: da, wo Gottes Liebesgeschichte mit seinem Volke ihr Ziel erreicht, im in der Johannes-Offenbarung explizierten Eintretens des Reich Gottes, da endet dieser große Roman, wie eine Liebesgeschichte. Ist das Glück, das irdische gelingender Liebe so wenig darstellbar wie das Glück des Reich Gottes? 
Was lesen wir stattdessen? Den Weg zum Glück, und seine Irrwege und Verfehlungen und wie es am Ende doch gut ausgeht! Könnte es uns eine Hilfe sein, die Bibel von der Gattung des Liebesromanes her zu lesen? Oder wollen wir diese Gattung gleich als eine triviale abtuen, um damit gleich mitzusetzen das Urteil, daß die hl. Schrift mit so einer primitiven Gattung nichts gemein haben könnte? Ein Reiseführer worb mal mit der Erkenntnis: "Man sieht nur, was man kennt!"Gilt auch, daß man in der Bibel nur das erkennt, was man vorher schon erkannt hatte? Daß also das Erkennen eigentlich mehr ein Wiedererkennen ist, oder daß wir nur etwas Neues erkennen, indem wir es als etwas uns Bekanntes Ähnlichem begreifen? Denken wir uns eine in der Gattung des Liebesromanes Bewanderten und schauten ihr bei ihrem Lesen der Bibel zu, was sähen wir da? Könnte es sein, daß bei so einer Lektüre vieles, was dem theologisch Gebildeten größte Probleme bereitet, hier ad hoc verstanden würde: daß Gott sich engagiert in seinem Ringen um die Liebe der Menschen, daß er gerade deshalb aber auch zürnt, wenn seine Liebe mit Untreue beantwortet wird, daß Gott gerade die freie Antwort des Menschen will, daß er ihn auch liebt, und nicht ihn überwältigen will, sodaß der Mensch gar nicht anders könnte, als Gott zurückzulieben? Daß Gottes Gebote Gebote zum Schutz der Liebesbeziehung sind und nicht Gesetze, um den Geliebten einzuengen? Kein Liebesroman ohne Konflikte! Ist das nicht die Substanz der Geschichten der Bibel? Ja, dem Liebenden kann etwas reuen, auch Gott- aber wie viel Schweiß kostete und kostet es der Theologie, diese Aussage der Bibel wegzuexegetisieren, weil es der Vollkommenheit Gottes widerspräche! 
Und warum bleibt der gute Ausgang so blaß-
 weil das Liebesglück selbst nicht mehr schilderbar ist! Aber es gibt eine Erziehung des Herzens, seit dem Flaubert seinen Roman"Erziehung des Herzens" schrieb, wissen wir das! Wie nun, wenn die Bibel auch ein Übungsbuch zur Erziehung zur Liebe wäre, daß es eine Herzensbildung intendiert, wie dies eben die Frucht auch jedes Liebesromanes ist. Daß die Frau ihr Leben mehr im Fühlen, der Mann mehr im Denken hat,ist ja nicht nur eine natürliche Disposition, sondern wird eben auch durch die geschlechtsspezifischen Lektüren gefördert. Sollte eventuell auch Männern als Erziehung ihrer Herzkompetenz das Lesen von Liebesromanen anempfohlen werden? 
Müßte es einem Christen nicht befremden, daß, wenn die größte Tugend die der Liebe ist, die Ästhetik die Gattung des Liebesromanes so gering schätzt! Oder will man ernsthaft meinen, daß die Liebe Gottes nichts gemein habe mit dem Gefühl der Liebe, so wie die Geld-Bank nichts gemein hat mit der Sitz-Bank- das selbe Wort Bank und doch meint es hier etwas Nichtsmiteinandergemeinsames!
Vielleicht ist uns auch deshalb die Hoffnung auf das Reich Gottes so blaß und fade geworden, weil das damit Gemeinte nicht mehr begriffen wird als die Erfüllung der Liebe? Andre Gide schildert in "Die enge Pforte"das Schicksal der Alissa, die aus Angst vor der Realisierung ihrer tiefen Liebe, daß die realisierte dann notwendigerweise eine sie enttäuschende sein muß, vor der Verwirklichung ihrer Liebe in den Tod sich flüchtet, auch die Banalität des Liebesglückes ihrer Schwester vor Augen habend. Will vielleicht das Schilderungsverbot der realisierten Liebe, wie im Liebesroman so auch in der Bibel das realisierte Glück vor seiner Banalisierung schützen, weil jede Darlegung dieses Glückes es banalisieren würde?   

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