Montag, 9. November 2015

Kurze Erwägungen zum Begriff des Schicksales

" In diesem Sinne war auch Angela erzogen worden, die durch den Glauben der Eltern ihre Stärke und die Überzeugung mit auf den Weg bekommen hatte, daß eine verständnisvolle Hand alle Geschicke dieser Welt leitet."  ( M. Cotten, Hilfe aus dem Totenreich; S. 27.) Aber im selben Roman lesen wir auch: "Der Mensch hat nur wenig Mitspracherecht in seinem eigenen Leben. Das Schicksal hat das Sagen." ( S.25 ) 
Wenn Gott als verständnisvolle Hand alle Gechicke leitet, wo bleibt da die Freiheit des Menschen und wo das Kontingente in der Geschichte?, diese Frage evozieren diese beiden Aussagen der Autorin. Liest man den Roman, selbstverständlich trifft man in ihm auf Handlungsträger, die so oder so handeln, aber als für ihr Tun und Unterlassen Verantwortliche. Wäre Gott ein die Geschichte determinierender Gott, dann gäbe es keine Subjekte mehr, die eigenverantwortlich für ihr Handeln wären, denn sie wären nur noch Instrumente, durch die der alles regierende Gott handelt. So versuchte es ja Luther in seiner Schrift gegen den freien Willen (De servo arbitrio) zu entfalten, Zwingli folgte ihm da in seinem Traktat über die Vorsehung und Calvin sah das auch so in seiner Institutio. Also stand das ganze reformatorische Lager auf der Seite der Vorstellung, daß Gott den freien Menschen ausschlösse. Nur Melanchthon ist in dieser Causa die große Ausnahme, in dem er in seinen Spätschriften, den Loci Communes, 3.Auflage, den freien Willen wieder verteidigte.    
Wenn es aber Freiheit in der Geschichte gibt, damit Menschen eigenverantwortlich sind für ihr Tun und Lassen, wie kann dann der Begriff des Schicksales verstanden werden? "Leiten" darf dann nicht als Negation der menschlichen Freiheit gedacht werden und doch soll gelten, daß das Schicksal unser Leben bestimmt. In der Dogmatik wird dies unter dem Begriff der göttlichen Vorsehung behandelt.Diese Causa gehört offenkundig zum schwierigsten des systematischen Denkens. Denn zwei Aussagen sollen ja gleichzeitig gelten: daß Gott die Welt regiert und daß der Mensch in der Welt frei agiert. Der Begriff des Schicksales beinhaltet diese beiden Momente und denkt sie als Einheit, daß beides gleich wahr ist. Das macht das schillernde und faszinierende dieses Begriffes aus. Aber er ist noch gehaltvoller, umfaßt er doch auch etwas Dunkles und Unbegreifliches: das ist dein Schicksal, darin klingt immer auch etwas Verhängnisvolles mit. So war es das Schicksal Judas Ischariot, daß er den Heiland verraten sollte und er tat, wozu er berufen war. Aber genau indem er das tat, tat er auch das Unmoraliche schlechthin, er verriet den Sohn Gottes. Hedwig Courths Mahler gebraucht den Schicksalsbegriff einmal so: " Aber alle Menschen können nicht glücklich werden. So wollen wir uns mit dem begnügen, was uns das Schicksal geben will." Das Schicksal, das uns etwas gibt, ist dabei auch als das Subjekt zu denken, daß der Grund dafür ist, daß nicht alle Menschen glücklich werden können. Aber auch in diesem Votum schwingt der Glaube mit, daß das Schicksal etwas ist, was es gut mit den Menschen meint, denn das ist der legitime Grund dafür, daß der Mensch sein Schicksal annehmen kann. Nur, all diese Zitate erschließen uns noch nicht recht, was denn der Begriff wirklich bedeutet. Der Grund dafür: Gott ist als Geber des Schicksales zu denken. So, wie seit der Aufklärung Gott aber domestiziert worden ist, paßt der Begriff de Schicksales aber nicht  mehr recht zu dem Gott Jesu Christi. Das aufgeklärte Gottesverständnis läßt so den Schicksalsbegriff als etwas Vorchristliches, als etwas Heidnisches erscheinen. Nur, so verdrängen wir, daß ja gerade Jesu Passion im wahrsten Sinne sein Schicksal war. Nur wenn sein Geschick bis zum bitteren Kreuzestod rein weltimmanent betrachtet wird, kann der schicksalshafte Charakter dieser Passion übersehen werden. Denn Gottes Wille war es ja, daß sein eigener Sohn den Kreuzestod zu erleiden hatte. Gottes Wille ereignete sich im Kreuz. Auch hier agierten alle Handlungsträger freiwillig  und so eigenverantwortlich und doch ereignete sich durch ihr freies Tun genau das, was Gott selbst gewollt hat. 
Warum hat dieser Begriff für die Religion und somit auch für die christliche eine so eminente Bedeutung? Er stellt klar, daß wir nicht einen weltlosen Gott und eine gottlose Welt vor uns haben, sondern daß Gott mitten in der Welt sie regiert. Im Begriff des Schicksales kommt uns Gott nahe. Die Religion unter dem Primat der Religion kennt Gott nur als Moralgesetzgeber, sodaß sie das Regieren Gottes reduziert darauf, daß Menschen gemäß Gottes Geboten leben und daß darin sich sein Weltregiment beschränke. Gott regiere in der Welt nur noch durch die moralisch Lebenden- so könnte man dies abbreviaturhaft zusammenfassen. Der Begriff des Schicksales überwindet diese moralische Engführung , indem sie in der Geschichte Gott selbst als Regierer glaubt. Nur, daß uns die Einsicht in das Wie und Warum Gott so regiert (noch) fehlt, und daß uns deshalb dieser Begriff etwas Dunkles wird, das gehört konstitutiv zu ihm. Verglichen wir die Welt mit einem Theater (alles zur größeren Ehre Gottes), dann wäre das Schicksal die Regie des Theaterstückes, in dem dann doch die Schauspieler frei agierten und doch Gottes Stück gespielt wird.  Damit stehen wir wieder vor der Anfangsaporie, der von Freiheit und Schicksal.  Diese Aporie zu lösen, hieße den Begriff des Schicksales aufzulösen- das ist das Dunkle dieses Begriffes. Aber gerade so erhellt er auch unser Leben auf Erden.  

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