Dienstag, 20. Dezember 2016

Wie christlich ist Deutschland noch- eine kleine Veranschaulichung

Überall da, wo die Reformation im 16. Jahrhundert sich durchsetzte in Deutschen Landen, da ergab sich ein prinzipielles Problem. Die Klöster waren der Träger der Armenfürsorge und noch heute bekommt so mancher Bedürftige an der Klosterpforte Nahrungsmittel da zugeteilt und auch eine Übernachtungsmöglichkeit. Wer übernimmt aber die Armenfürsorge, wenn im Namen der Reformation die Klöster zugesperrt werden? 
Wir erlebten in der Reformation mit ihrem Nein zum Kloster zugleich die Geburtsstunde des Sozialstaates. Eine öffentliche Kasse wurde installiert, aus der dann die Armen unterstützt wurden. Die Stadt übernahm so nach der Schließung der Klöster diese wesentliche Aufgabe der Klöster. Daß der Staat so auch zum Sozialstaat sich entwickelte, ist keine Selbstverständlichkeit, die etwa aus dem Wesen des Staates als notwendiges Moment deduzierbar wäre.Sozialgeschichtlich gesehen könnte geurteilt werden, daß die Armenfürsorge der Klöster nicht ausreichte, um den sozialen Probleme der modernen Gesellschaft gerecht zu werden: zu viele verarmten und waren auf dauerhafte Unterstützung angewiesen. 
Daß aber die Idee des Sozialstaates sich durchsetzte, das verdankt Deutschland der Reformation. Es wandelte sich nämlich auch das Verständnis von Armut: a) galt die freiwillige Armut der Katholischen Kirche als die Praxis der Nachfolge Christi und b) galt der ökonomisch Arme als die Ermöglichung dafür, daß auch Reiche (oder zeitgmäßer gesagt: Besserverdiener) trotz des Votums Jesu Christi, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingehe, eine Chance haben, durch das Almosengeben in das ewige Leben einzugehen. Nicht war also das Ziel der Armenfürsorge die Abschaffung der Armut sondern das gute Werk des Almosengebens. 
Wo aber Armut als freiwillige nicht mehr als das Moment einer radicalen Nachfolge Jesu Christi angesehen wird und als ökonomische nicht mehr als ein Ermöglichungsgrund zum Wirken des guten Werkes des Almosengebens, da erst erschien der Arme in einem neuen Licht. Jetzt war Armut, das was nicht sein sollte. Jetzt sollte im Namen der Nächstenliebe dem Armen geholfen werden, daß er seine Armut überwindet. Die urchristliche Almosenpraxis sollte dem Armen es ermöglichen, als Armer zu überleben, die moderne Praxis der christlichen Nächstenliebe dagegen sieht ihr Ziel in der Aufhebung der Armut. Das war die Geburtsstunde des Sozialstaates aus der Umformung der Almosenpraxis zur organisierten Gestalt der Nächstenliebe als Sozialstaat.
In zeitgenössischen Predigten kann man, aufmerksam zuhörend noch auf dies Problem stoßen, wenn etwa die Seligpreisung: "Selig sind die Armen" so ausgelegt wird: Einerseits soll es sich um Arme im ökonomisch-sozialen Sinne handeln, und denen gelte nun die Verheißung Jesu, daß ihnen das Reich Gottes verheißen ist, und andererseits soll gelten, daß es nun unsere Christenpflicht sei, dafür zu sorgen, daß die Armen aufhörten, Arme zu sein. Nähme man das ernst, ergäbe das, daß man Armen, indem man ihn hilft, nicht mehr arm zu sein, die Verheißung, daß, weil sie arm sind, ihnen das Reich Gottes verheißen sei, nimmt: als Nichtmehr-Arme gilt ihnen die Verheißung ja nicht mehr! Aber diese Predigt will ja nun gerade die Hörer dazu bewegen, einen Beitrag zur Beseitigung der Armut zu leisten! Die Seligpreisung dagegen verheißt denen, die arm sind, weil sie arm sind, das Reich Gottes! In der Regel wird der Prediger dazu nur antworten, daß man Arme nicht auf ein jenseitges Reich Gottes vertrösten dürfte und stattdessen für ihre Wohlfahrt hier als Christ zu sorgen habe. Damit wird aber der gesamten Bergpredigt: Was muß ich tuen und unterlassen, um einzugehen in das Reich Gottes?, seiner Substanz beraubt, indem das, was das Ziel ist, die Verheißung ewigen Lebens nun als Vertröstung abgelehnt wird und stattdessen humanitaristisch das Ziel des Wohlergehens aller proklamiert wird. 
Daran wird die Ambivalenz des modernen Sozialstaates in seinem Verhältnis zur christlichen Religion deutlich: Die Idee des Sozialstaates setzt eine Abwendung von der Konzeption des guten Werkes des Almosengebens voraus und eine neue Praxis der Nächstenliebe, der der Hilfe für den Armen zur Überwindung seiner Armut. Diese Praxis ist nun selbst wiederum eine genuin christliche und keine selbstverständliche menschliche Praxis. 
So gesehen ist aber der Sozialstaat immer auch ein Produkt der christlichen Religion als Organisationsform praktizierter Nächstenliebe. Und so ist es kein Zufall, daß der sich von der christlichen Religion emanzipierende Liberalismus ein Feind des Sozialstaates ist! 

Corollarium 1
So befremdlich es auch klingen mag: Der radicale Marxismus mit seinem Willen zur Beseitigung von der Armut kann als illegitimes, uneheliches Kind der christlichen Praxis der Nächstenliebe verstanden werden, zumal wenn man das Endziel einer kommunistischen organisierten Welt als Produkt der Säkularisierung der Reich Gottes Verheißung liest, wohingegen die liberalistische Ideologie, daß jeder nur für sein eigenes Wohlergehen zuständig sei, nur als radicaler Bruch mit der christlichen Praxis der Nächstenliebe nur zu verstehen ist. Hier stellt der liberale Mensch seine rein rhetorisch gemeinte Frage, warum er denn der Hüter seines Bruders sein sollte!
Der Nationalstaat, in dem die Nächstenliebe zur organisierten Praxis des Sozialstaates wird, ist so eine genuin christliche Hevorbringung, die nicht leichtfertig der Idee der Globalisierung und einer neuen transnationalen Weltordnung aufgeopfert werden darf, denn mit dem Nationalstaat fällt auch der Sozialstaat. 

Corollarium 2
So ist das Negativereignis der Reformation auch in seiner Negation des Klosters etwas Positives: die Geburt der Idee des Sozialstaates! Die Reformation leistete so etwas zur Staatswerdung des Staates im Akt des Verneinens des Klosters. Die Produktivität des Negativen!            

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